Fisherman's Friend in meiner Koje - Gier, K: Fisherman's Friend in meiner Koje
Wintermantel. Wäre es ein gelb-grünes Hahnentrittjackett gewesen, hätte die Sache schon anders ausgesehen. Aber Grau war klassisch, das konnte man ja auch noch im nächsten Jahr an den Mann bringen.
»Armer Bernie«, sagte Rosi mitleidig. »Aber so ist das, wenn man sein eigenes Geschäft hat.«
Stefan verteilte Blätter mit Aufgaben, die wir zu Hause lösen sollten. Netterweise verteilte er die Lösungen gleich dazu.
»Nix da«, sagte Fred und riss Rosi das Lösungsblatt aus der Hand. »So lernst du das doch nie.«
»Das macht er immer«, flüsterte mir Rosi bekümmert zu. »Nur, damit ich zu Hause nicht nachgucken kann.«
»Nimm mein Lösungsblatt«, bot ich flüsternd an. »Ich kann bei Rebecca nachschauen.«
Rosi faltete mein Blatt zusammen und steckte es heimlich in die Känguruhtasche ihres glitzerblauen Sweaters. Ihre Outfits waren farblich immer perfekt aufeinander abgestimmt: Leggings, Oberteil, Schuhe, Ohrclips – alles ein Farbton, in der Regel aus lichtreflektierenden, atmungsaktiven Materialien und mit Markenlabels versehen, die man auf derartigen Klamotten niemals erwartet hätte. Nur der türkisfarbene Lidschattenbalken blieb in jeder Stunde der gleiche. Bille meinte, es handle sich hierbei um einen besonders hartnäckigen Fall von Permanent-Make-up.
»Riechst du das?«, fragte Rosi wie beim letzten Mal und sah wieder zu Jack hinüber. »Wie eine ganze Schnapsfabrik!«
Ich schnupperte. Nein, ich roch nichts.
»Ich sag’s nur ungern«, flüsterte Rosi. »Aber der Jack ist wirklich immer besoffen!«
»Rosi!«, zischte Fred. »Los, Gruppenarbeit!«
Rosi lächelte mir noch einmal verschwörerisch zu.
Ich wollte mit Rebecca zusammenarbeiten, aber die hatte schon, ohne mich zu fragen, eine Gruppe mit Dirk gebildet. Soweit ich mitbekam, redeten sie nicht über Kurse und Distanzen, sondern über Woody-Allen-Filme.
»Also ›Bullets over Broadway‹ gefiel mir nicht so gut wie ›Verbrechen und andere Kleinigkeiten‹«, sagte Dirk, und Rebecca stimmte ihm von ganzem Herzen zu.
Und wie sie dabei lächelte! Ganz und gar unpassend für ein Mutti, das ein zahnendes Kleinkind und einen Ehemann zu Hause sitzen hatte. Aber meine strafenden Blicke nahm das Rabenmutti gar nicht wahr. So, als wäre ich nicht vorhanden.
Als ich mich wieder auf mich besann, hatten sich bereits alle anderen zu Paaren zusammengefunden: Bille und Bernie, Heinrich und Ursel sowie Ulf und Jack. Nur Angela und ich waren noch solo. Wohl oder übel setzten wir uns nebeneinander an eine Seekarte.
»Sag mal, sind deine Haare eigentlich von Natur aus rot?«, erkundigte sich Angela.
»Aber ja«, log ich verärgert.
»Sieht aber nicht so aus«, meinte Angela besserwisserisch, wobei sie ihr staubfarbenes Haar in den Nacken warf.
Auch bei den Aufgaben wusste sie alles besser. Ständig riss sie mir Geodreieck und Zirkel aus der Hand und sagte: »Lass mich das lieber machen, ich bin genauer.«
Als Stefan vorbeikam und fragte, ob wir zurechtkämen, sagte sie: »Ja, und was Judith nicht versteht, erkläre ich ihr schon.«
Ich konnte es mir gerade noch mal verkneifen, ihr den Zirkel in den Arm zu piken.
»Wusstest du, dass das Abitur über den zweiten Bildungsweg viel, viel anspruchsvoller ist?«, fragte Angela unvermittelt. »Ich hatte einen Schnitt von eins Komma drei.«
Ah, daher weht der Wind. Angela war eine von diesen Frauen, die ständig fürchteten, man könne ihnen das Abitur nicht ansehen.
Ich sagte nichts dazu.
»Was hattest du denn für einen Durchschnitt?«, wollte Angela wissen.
Ich tat, als könne ich mich nicht mehr so genau erinnern.
»Zwei Komma noch was«, sagte ich, was auch der Wahrheit entsprach. Zwei komma neun exakt.
»Aha«, sagte Angela und presste zufrieden ihre Lippen aufeinander. Ich konnte mir nicht helfen, aber die Frau war mir einfach unsympathisch.
Als wir nach dem Unterricht wieder auf ein Bier in den Froschkönig gingen, setzte ich mich möglichst weit von ihr weg. Ich wollte aber auch nicht in Ulfs oder Ursels Nähe sitzen. Deshalb setzte ich mich diesmal zwischen Bille und Rebecca.
Aber nicht, dass ich mich deshalb besser unterhalten hätte – im Gegenteil. Bille erzählte sich wieder Witze, diesmal mit Jack und Bernie, die auf ihrer anderen Seite saßen, und Rebecca unterhielt sich blendend mit Dirk, diesmal über Bauhausarchitektur. Ich saß in der Mitte, und keiner kümmerte sich um mich.
»Ich mag ja mehr die Architektur von Hundertwasser«, versuchte ich mich am Gespräch links
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