Fisherman's Friend in meiner Koje - Gier, K: Fisherman's Friend in meiner Koje
Jetzt war er bei mir angekommen. Zu spät begriff ich, dass ich in seinen Augen nichts war als eine weiße Maus. Der Dachdeckerhammer sauste auf mich nieder …
»Die intellektuelle … äh … Kompatibilität spielt auf einem Segelboot keine Rolle«, lenkte mich Stefan ab. »Ich, ähm, wir versuchen zwei Wochen lang, Landratten das Segeln beizubringen. Für intellektuelle Gespräche wird da wenig Platz sein. Macht euch schon mal darauf gefasst, dass es an Bord nur drei Themen geben wird: das Essen, die Verdauung und das Wetter.«
Gutes Buch mitnehmen, notierte ich mir in Gedanken.
»Ja, aber trotzdem sollte man …«, fing Ursel wieder an, wurde aber von Stefan mit einem Blick zum Schweigen gebracht.
»Wenn ich jetzt mal fortfahren dürfte«, knurrte er. »Auf Boot eins werden schlafen …«
Ursel kniff besorgt die Lippen zusammen. Ich wusste, was in ihr vorging. Rosi hatte sie bestimmt auch über Jacks kleines Geheimnis und die damit verbundenen Gefahren an Bord informiert. Verständlicherweise wollte Ursel daher um keinen Preis auf dasselbe Boot.
»… Ursel, Heinrich, Dirk, Bernie und Bille«, fuhr Stefan fort. »Skipper ist Hannes.«
Ursel entfuhr ein Seufzer der Erleichterung. Jack the Ripper würde also auf unserem Boot sein Unwesen treiben!
»Boot zwei: Rebecca, Judith, Rosi, Fred und Jack, Skipper bin ich«, bestätigte Stefan unsere düsteren Vorahnungen.
»Na also«, sagte Ursel zufrieden.
Das Esszimmerportal öffnete sich, und im Türrahmen erschien, wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, die Köchin. Sie trug eine weiße Rüschenschürze und ein kleidsames Häubchen.
»Ah, Bärbel«, fragte Rosi, »ist der Spießbraten fertig?«
»In zwei Minuten«, antwortete das Relikt mit Häubchen. Klar, dass in ein Haus von solchen Dimensionen auch eine waschechte Haushälterin gehörte. Wer zum Beispiel sollte die Bilderrahmen abstauben, die abstrakte Kunstwerke in Fußballfeldgröße einfassten? Wer den offenen Kamin in Ordnung halten, der gut und gern als Kinderzimmer hätte umfunktioniert werden können? Rosi vielleicht?
Über einem Sessel aus schwarzem Leder und Chrom für gut und gern zehn Personen entdeckte ich eine Sammlung gerahmter Fotografien, die alle ein Funkemariechen in rot-weißer Gardeuniform zeigten.
Rosi war meinem Blick gefolgt.
»Das ist Bernadette!«, sagte sie, und jetzt flüsterte sie kein bisschen mehr. Im Gegenteil, sie schrie beinahe.
»Aha.«
»Bernadette ist meine Tochter«, setzte Rosi in Bühnenlautstärke hinzu. »Sie ist bei der Tanzgarde Rot-Weiß in Köln-Pesch!«
»Aha!« Ich hatte den Eindruck, als würde Rosi gar nicht mehr zu mir sprechen, sondern zu Stefan. Er musterte jetzt ebenfalls die Funkemariechen-Bilder.
Rosi sprang auf und riss eines der Bilder, ein Porträt mit Federhut und weißer Lockenperücke, von der Wand. Sie legte es Stefan auf den Teller. »Ist sie nicht wunderschön?«
»Schöner Hut«, zog Stefan sich taktvoll aus der Affäre.
»Bernadette ist achtundzwanzig und wiegt kein Gramm mehr als fünfzig Kilo. Sooo eine schmale Taille!«, meinte Rosi und umfasste mit den Händen ein imaginäres Baguette. »Und an jeder Hand zehn Verehrer! Die rennen ihr die Türen ein. Aber meiner Bernadette – nein, der ist keiner gut genug! Bis jetzt jedenfalls.«
»Ach!«, sagten Stefan und ich gleichzeitig. Zwei Dumme, ein Gedanke! Ganz entzückt über den Gleichklang unserer Seelen lächelte ich ihn an.
»Weil sie den Richtigen einfach noch nicht getroffen hat!«, rief Rosi aus und legte ihre Hand auf Stefans Arm. »Kannst du das verstehen? Bei dem Aussehen?«
»Nein«, murmelte Stefan. Was sollte er auch sonst sagen?
In diesem Augenblick geschahen zwei Dinge.
Eins davon veränderte mein Leben von Grund auf, äh – führte eine entscheidende Wende in meinem Leben herbei, äh – traf mich zutiefst! Ja, das tat es wirklich!
Zum einen brachte Rosis Haushälterin den Spießbraten herein, eine riesige Platte mit einem mehrere Kilo schweren Fleischklumpen. Bubi jaulte begeistert auf.
Aber nicht der Anblick des Bratens löste besagte Betroffenheit in mir aus, sondern Angela, die zeitgleich das Speisezimmer betrat. Sie trug wieder den unvorteilhaften Komposthaufen auf dem Mittelscheitel und einen Rollkragenpullover in ihrer Lieblingsfarbe, angestaubtes Kamel.
Und dann passierte es: Sichtlich entzückt sprang Stefan auf, und zwar so heftig, dass der Teakstuhl auf die geschliffenen Granitfliesen knallte.
»Angela! Endlich!«
Angela erwartete ihn
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