Fisherman's Friend in meiner Koje - Gier, K: Fisherman's Friend in meiner Koje
Heckleine, Judith springt mit der Vorleine über und macht das Boot erst mal fest. Alles klar?«
»Nicht so ganz«, sagte ich, aber auf mich hörte keiner.
Die besagten Poller kamen rasch näher. Es waren runde Holzpfähle von maximal Gummistiefelbreite. Sie ragten mindestens anderthalb Meter aus dem Wasser und sahen nass und glitschig aus.
»Jetzt wird’s ernst«, sagte Stefan. Es sah aus, als wolle das Boot die Poller rammen, aber mit einer geschickten Steuerbewegung brachte Stefan es dazu, seitlich abzudrehen. Rebecca und Jack hetzten mit den Fendern hin und her, ich blieb unschlüssig mit der Leine in der Hand an der Reling stehen und starrte auf das brodelnde Wasser. Ausgerechnet jetzt musste ich an meinen Sprung in den Rhein denken. Meine Knie gaben nach, ich konnte kaum noch aufrecht stehen.
»Worauf wartest du noch, Judith? Näher kommen wir nicht mehr ran. Spring!«, schrie Stefan.
Ich wusste, es war der reinste Selbstmord. Aber weil ich Stefan um nichts in der Welt enttäuschen wollte, stellte ich einen Gummistiefel auf die Reling und stieß mich mit dem anderen kräftig ab. Zu meinem Erstaunen und obwohl ich die Augen fest geschlossen hielt, landete ich unversehrt auf den Pollern.
»Festmachen!«, schrie Stefan.
Ich schlang das Seil um einen der Pfosten und warf das andere Ende Rebecca zu. Jack machte das Gleiche mit der hinteren Leine. Dann erst wurde mir bewusst, wo ich stand. Auf einer Reihe glitschiger Poller – nichts, woran man sich festhalten konnte, links und rechts windgepeitschtes Meerwasser.
»Hilfe!«, rief ich, aber die anderen waren zu sehr damit beschäftigt, das Boot festzumachen. Fünf, sechs Schritte hätten genügt, und ich hätte mich an der Reling festklammern können. Aber ich war nicht mal zu einem Augenklimpern fähig. Ich fürchtete, jede noch so kleine Bewegung würde mich aus dem Gleichgewicht bringen.
Da stand ich nun, umgeben von der tosenden Nordsee, von der Welt vergessen. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis Jack zu mir herüberblickte.
»Komm, Maus, wir trinken ein Anlegerbier«, rief er. »Das haben wir uns jetzt wirklich verdient.«
Ich wagte es nicht, den Kopf zu schütteln.
»Hilfe!«, flüsterte ich, aber da hatte er sich schon umgewandt, um das Bier aus dem Kühlschrank zu holen. Ich blieb allein auf den Pollern zurück und wiegte mich im Wind. Allmählich kroch Verzweiflung in mir hoch.
»Judith, wir warten«, rief Rebecca. »Sei nicht so eitel. Die Sonne scheint morgen auch noch!«
Meine Verzweiflung schlug in Wut um. Sie glaubte wohl, ich stünde auf den Pollern, um mein Gesicht in die spärliche Nachmittagssonne zu halten, die durch die Wolken brach. Lächerlich!
»Hey, ihr da!«, schrie ich. »Soll ich hier draußen übernachten?«
Drei erstaunte Köpfe hoben sich aus dem Niedergang.
»Komm doch!«, sagte Stefan.
»Sehr witzig!«, fauchte ich. »Meinst du vielleicht, ich stehe freiwillig hier?«
»Oh, das Gesicht kenne ich«, sagte Rebecca. »Das hatte sie als Kind auch manchmal. Dann saß sie einen halben Tag auf einem Baum und hat sich nicht mehr runtergetraut.«
»Warum?«, wollte Stefan wissen.
»Weil ihr immer erst ganz oben eingefallen ist, dass sie ja eigentlich Höhenangst hat. Meine Mutter hat gesagt, lasst sie ruhig oben. Wenn sie Hunger hat, kommt sie schon von allein herunter.«
»Und?«
Rebecca lachte. »Meistens musste einer von uns hochklettern und sie runterholen. Aber einmal ist sie auch von allein runtergekommen.«
»Und dabei habe ich mir das Bein gebrochen«, ergänzte ich bitterböse.
»Ich hole dich«, mischte sich Stefan ein. Er hatte offensichtlich den Ernst der Lage begriffen.
Jacks und Rebeccas Köpfe verschwanden wieder im Niedergang. Stefan sprang mit einem Satz über die Reling. Mit wenigen Schritten war er bei mir.
»So, und jetzt?«, fragte er.
Trag mich, hätte ich am liebsten gesagt, aber das ging natürlich zu weit. Peinlich berührt senkte ich den Kopf und starrte auf meine Gummistiefel. Im gleichen Augenblick fühlte ich Stefans Arme. Erleichtert ließ ich mich an seine Brust ziehen.
»Ist doch nicht schlimm«, murmelte er in mein Haar und streichelte mir über den Rücken. Ich sagte gar nichts, ich wollte den Augenblick nur so lange wie möglich auskosten.
Leider wurde unsere Umarmung jäh durch das Auftauchen der True Love gestört. Die gesamte Besatzung war immer noch in die blendend orangefarbenen Schwimmwesten gekleidet, von weitem leuchtete der Windgeräuscheschlucker von Heinrichs
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