Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
für nichts und niemanden. Sieh.« Er bückte sich, hob mich mühelos vom Boden auf und setzte mich auf seinen Stuhl. »Ruh dich aus. Und nimm dir zu essen. Ich brauche vorläufig nichts. Wenn du dich besser fühlst, geh an meiner Stelle zu meinem Vater. Richte ihm aus, ich hätte dir gesagt, du wärst mir zwar eine willkommene Ablenkung gewesen, doch ich möchte, dass mir von heute an ein Küchenjunge die Mahlzeiten bringt.«
»Veritas …«
»Nein«, berichtigte er mich. »Sag ›mein Prinz‹. Denn hierin bin ich dein Prinz, und ich dulde keinen Widerspruch. Und jetzt iss.«
Ich ließ den Kopf hängen, gehorchte aber, und die Elfenrinde im Tee belebte mich schneller, als ich erwartet hatte. Bald konnte ich aufstehen, stellte das Geschirr auf das Tablett und ging damit zur Tür. Ich fühlte mich wie am Boden zerstört.
»FitzChivalric Weitseher.«
Bei den Worten erstarrte ich. Erst nachdem ich tief durchgeatmet hatte, drehte ich mich langsam herum.
»Das ist dein Name, Junge. Ich habe ihn selbst an jenem Tag in das Militärregister eingetragen, als du mir gebracht wurdest. Das ist übrigens noch etwas, wovon ich glaubte, du wüsstest es. Hör auf, von dir selbst als Bastard zu denken, FitzChivalric Weitseher. Und vergiss nicht, heute noch zum König zu gehen.«
»Auf Wiedersehen«, sagte ich leise, doch er starrte schon wieder weit auf das Meer hinaus.
Und so fand der Hochsommer uns alle vor: Chade über seinen Schriften, Veritas an seinem Fenster, Edel auf Brautschau
für seinen Bruder und schließlich mich, der ich im Stillen für meinen König mordete. Die inneren und die Küstenprovinzen saßen sich am Verhandlungstisch gegenüber und fauchten sich an wie Katzen über einem gestohlenen Heringskopf. Und über alldem wachte König Listenreich wie eine Spinne genau über alles, was sich in seinem Umfeld tat. Die Roten Korsaren attackierten uns wie Katzenfische den Fleischköder - sie rissen kleine Stücke aus dem Leib des Volkes, raubten unsere Landsleute und schickten sie als Entfremdete wieder zurück. Uns zum Hohn und zur Plage. Die Leute hatten fortan Angst, zum Fischen hinauszufahren, Handel zu treiben oder in der Nähe der Flussmündungen das Land zu bestellen. Ungeachtet dessen mussten aber gleichzeitig die Steuern erhöht werden, um die Soldaten und die Wächter zu unterhalten, die trotz ihrer wachsenden Zahl unfähig zu sein schienen, uns vor den Roten Korsaren zu schützen. Listenreich hatte mich widerwillig von meinem Dienst bei Veritas entbunden, und mir kam es vor, als sei ich bei meinem König in Ungnade gefallen, doch nach über einem Monat wurde ich unerwartet eines Morgens zu einem Frühstück in seine Gemächer bestellt.
»Es ist eine ungünstige Zeit zum Heiraten«, warf Veritas gerade in das Gespräch ein. Ich blickte auf den bleichen, hageren Mann, der mit dem König zu Tisch saß, und fragte mich, ob dies der kräftige und überaus lebendige Prinz aus meinen Kindertagen sein konnte. Sosehr hatte er sich in nur einem Monat verändert. Er spielte mit einem Stück Brot und legte es dann weg. Seine Wangen waren farblos und hatten eine ungesunde Farbe angenommen, sein Haar war stumpf, und seine Muskeln wirkten schlaff. Und das Weiß seiner Augen schimmerte gelblich. Wäre er ein Hund gewesen: Burrich hätte ihn entwurmt.
Ungefragt meldete ich mich zu Wort: »Vor zwei Tagen war ich mit Leon auf der Jagd. Er hat ein Kaninchen gefangen.«
Veritas wandte sich mir zu, wobei sich ein Ausdruck von Erheiterung über seine Gesicht legte. »Du bist mit meinem Wolfshund auf Kaninchenjagd gegangen?«
»Es hat ihm Spaß gemacht. Aber er vermisst Euch. Er brachte mir das Kaninchen, und ich habe ihn gelobt, aber das schien ihm nicht zu genügen.« Ich ersparte ihm die Beschreibung, wie der Hund mich angeschaut hatte und mir durch seinen Blick und seine Haltung zu verstehen gab: Nicht für dich.
Veritas griff nach seinem Glas, wobei seine Hand kaum merklich zitterte. »Ich bin froh, dass er Auslauf hat, Junge. Das ist besser als …«
»Die Hochzeit«, warf Listenreich ein, »wird dem Volk Zuversicht geben. Ich werde alt, mein Sohn, und die Zeiten sind unruhig. Das Volk sieht in den Schwierigkeiten kein Ende, und ich kann ihm keine raschen Erfolge versprechen, die wir nicht halten können. Die Outislander haben Recht, Veritas, wir sind nicht mehr die Krieger, die einst an diesen Küsten landeten. Wir sind ein sesshaftes Volk geworden. Und ein sesshaftes Volk ist auf andere Weise angreifbar als
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