Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
Ausdünstungen der Eichenfässer mit mildem Sandsedge Brandy ihre eigene Note hinzufügten, verdorbene Heubündel, die zum Auslegen einer Vorpiek bestimmt waren, und der Duft der Kistenstapel mit harten Melonen. Und diese vielfältige Geruchsmischung wurde von dem Wind aus der Bucht durcheinandergewirbelt, der nach Salz und Jod schmeckte. Es war Nosy, der mir
all das vergegenwärtigte, was er witterte, ihm verdankte ich diese lebendige Erinnerung - ich roch mit seiner Nase.
Kerry und ich erhielten die unterschiedlichsten Aufträge: So hatten wir einen Steuermann auf Landurlaub heimzuholen, damit er sich von seiner Frau verabschiedete, oder Gewürzproben zu einem Käufer in einem Kontor zu bringen. Ein andermal schickte uns der Hafenmeister los, um einer Schiffsbesatzung auszurichten, dass irgendein Dummkopf die Leinen falsch festgemacht hatte und die Flut im Begriff war, sich ihrer Brigg zu bemächtigen. Doch am liebsten waren uns die Aufträge, die uns in die Schänken führten. Dort gingen die Geschichtenerzähler und Gerüchtemacher ihrem Gewerbe nach. Man lauschte gebannt den klassischen Sagen von Entdeckungsreisen und Mannschaften, die furchtbaren Stürmen trotzten, und man hörte von unfähigen Kapitänen, die ihre Schiffe mit Mann und Maus auf den Grund des Meeres schickten. Viele dieser Abenteuer lernte ich auswendig, aber die Geschichten, die mir am besten gefielen, stammten nicht von den berufsmäßigen Geschichtenerzählern, sondern von den Seeleuten selbst. Nicht das Seemannsgarn, das am Feuer zur Unterhaltung der Gäste gesponnen wurde, interessierte mich, sondern die Warnungen und Ratschläge, die die Mitglieder einer Besatzung bei einem Krug Branntwein oder einem Laib gelben Pollenbrots an ihre Kameraden weitergaben.
Sie sprachen von riesigen Fängen, prallvollen Netzen, unter deren Gewicht um ein Haar das Boot gesunken wäre, oder von wunderlichen Fischen und Meeresungeheuern, die man nur sehen konnte, wenn das Kielwasser eines Schiffes den Lichtpfad des Vollmonds auf dem Wasser kreuzte. Mit gedämpfter Stimme berichteten sie von Dörfern, die von den Outislandern heimgesucht worden waren, sowohl an der Küste als auch auf den
vorgelagerten Inseln unseres Herzogtums, von Piratenüberfällen, Seeschlachten und Meutereien. Am spannendsten waren die Geschichten über die Roten Korsaren, Outislander, die nicht nur über unsere Boote und Siedlungen herfielen, sondern auch ihre eigenen Landsleute beraubten. Einige Zweifler nannten die Schiffe mit dem roten Kiel Hirngespinste und spotteten über das Märchen, das Seeräubergesindel würde sich gegenseitig an die Kehle fahren.
Kerry und ich und Nosy saßen unter den Tischen, knabberten an süßen Hellerwecken und lauschten mit großen Augen den rauen Stimmen über unseren Köpfen, die von den roten Schiffen erzählten, an deren Rahen gefesselte Männer wie Flaggenschmuck hingen, nicht tot, nein, lebendig, während sie am Ende der Seile tanzten und gellend schrien, wenn die Möwen niederstießen und nach ihnen hackten.
Wir saugten die herrlich gruseligen Geschichten in uns auf, bis uns selbst in der stickig warmen Schänke eine Gänsehaut überkam, und dann flitzten wir wieder hinunter zum Kai, um uns noch einen Heller zu verdienen.
Einmal bauten Kerry, Molly und ich ein Ross aus Treibholz und stakten es unter die Pier. Dort machten wir es fest, aber als die Flut kam, brachte es einen Teil des Stegs zum Einsturz und beschädigte zwei kleine Boote. Geraume Zeit saß uns die Angst im Nacken, als die Schuldigen erwischt zu werden. Ein anderes Mal setzte es Maulschellen von einem Schankwirt, der Kerry und mich des Diebstahls beschuldigte. Unsere Rache war ein stinkender Hering, den wir zwischen Bock und Platte eines seiner Tische klemmten. Dort verfaulte der Hering ganz allmählich und zog tagelang Fliegenschwärme an, bis der Wirt ihn schließlich entdeckte.
Ich erhielt während dieser Zeit einen Einblick in die verschiedensten Gewerbe: Fischhandel, Netzflickerei, Bootsbau und Faulenzerei. Noch tiefere Einblicke erhielt ich in die menschliche Natur. Denn bald verstand ich auf den ersten Blick zu beurteilen, wer die Absicht hatte, mir den versprochenen Heller für einen Botengang zu bezahlen, und wer mich nur auslachen würde, wenn ich kam, um meinen Lohn zu fordern. Ich wusste, welcher Bäcker ein weiches Herz hatte und in welchen Läden man am leichtesten etwas mitgehen lassen konnte. Bei all diesen Unternehmungen war Nosy an meiner Seite, inzwischen so
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