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Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher

Titel: Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Wahrheit bin ich mir ganz sicher. Aber die Zeit? Wartete die Zeit, in die ich hineingeboren wurde, auf mein Auftauchen an genau diesem Punkt der Geschichte? Griffen die Ereignisse schwerfällig und rumpelnd ineinander wie die hölzernen Zahnräder der Uhr von Sayntanns und lenkten mein Leben in vorherbestimmte Bahnen? Ich erhebe keinen Anspruch auf Größe. Und doch, hätte ich nicht das Licht der Welt erblickt, wäre so vieles anders. So vieles? Vielleicht sogar besser? Ich denke nicht. Und dann reibe ich mir über die trüben Augen und frage mich, ob diese Gedanken meinem Kopf entstammen oder von der Droge in meinem Blut kamen. Es wäre schön, mit Chade Rat halten zu können. Ein letztes Mal.

    Die Sonne war weitergewandert, und der Nachmittag ging zu Ende, als jemand mich wachrüttelte. »Dein Herr will dich sehen«, sagte der Mann kurz angebunden, und ich war mit einem Schlag hellwach. Die über mir am Himmel kreisenden Möwen, die frische Seeluft und das gravitätische Wiegen des Bootes im Meer erinnerten mich daran, wo ich mich befand. Ich erhob mich von meinem harten Lager, beschämt davon, dass ich eingeschlafen war, ohne an Chade gedacht zu haben. Mit schlechtem Gewissen eilte ich zum Hinterdeck. Dort in der Kajüte stellte ich fest, das Chade sich des kleinen Messetischs bemächtigt hatte. Er saß vor einer ausgebreiteten Landkarte, aber es war die große Terrine mit Fischsuppe, die meine Aufmerksamkeit fesselte. Mit einer Handbewegung forderte er mich auf zuzugreifen, und ich ließ mich nicht zweimal bitten. Es gab Schiffszwieback dazu und einen sauren Rotwein. Ich hatte nicht gemerkt, wie hungrig ich war, bis das Essen vor mir stand. Als ich mit einem Stück Zwieback den Rest vom Teller tünchte, fragte Chade: »Besser?«
    »Viel besser. Und wie steht es mit dir?«
    »Ausgezeichnet«, behauptete er und sah mich mit seinem mir so vertrauten Raubvogelblick an. Zu meiner Erleichterung schien er sich völlig erholt zu haben. Er stellte meinen Teller zur Seite und schob mir die Karte hin. »Gegen Abend«, erläuterte er und deutete auf die Karte, »werden wir diesen Punkt an der Küste erreicht haben. Mach dich auf eine raue Landung gefasst. Wenn wir Glück haben, bekommen wir günstigen Wind, falls nicht, verpassen wir den Höhepunkt der Flut, so dass wir gegen eine stärkere Strömung anzukämpfen haben. Es kann sein, dass die Pferde schwimmen müssen, während wir im Boot ans Ufer rudern. Ich hoffe, das bleibt uns erspart, aber es ist besser,
auf das Schlimmste vorbereitet zu sein. Sobald wir an Land sind …«
    »Du riechst nach Carrissamen.« Ich konnte es nicht glauben, aber das süße Aroma in seinem Atem war unverkennbar. Carriskuchen gab es beim Frühlingsfest, und ich kannte die allein schon aufputschende Wirkung von den wenigen Samenkörnern, mit denen das Gebäck bestreut war. Jeder beging den Frühlingsanfang auf diese Weise. Einmal im Jahr, was konnte es schaden? Doch ich wusste auch, dass Burrich mich gewarnt hatte, nie ein Pferd zu kaufen, das nach Carrissamen roch. Und drohend hatte er hinzugefügt, falls er je einen erwischte, der unseren Pferden Carrissamen ins Futter tat, würde er ihn töten. Mit bloßen Händen.
    »Ach ja? Wenn du das sagst. Nun, ich schlage vor, falls du mit den Pferden schwimmen musst, packst du am besten Hemd und Umhang in Ölzeug ein und lässt es bei mir im Boot. Auf die Art hast du wenigstens nachher etwas Trockenes zum Anziehen. Vom Ufer führt unser Weg …«
    »Burrich sagt, wenn man einem Tier davon gegeben hat, ist es nie wieder dasselbe. Er sagt, man kann ein Pferd damit füttern und ein Rennen gewinnen oder einen Hirsch zu Tode hetzen, aber danach ist es für immer verdorben. Er sagt, Rosstäuscher benutzen es, um einen Gaul auf dem Markt besser aussehen zu lassen, selbst der älteste Klepper wird davon lebhaft wie ein Füllen, was aber nicht lange anhält. Burrich sagt, die Pferde verlieren das Gefühl dafür, wann sie müde sind, und laufen weiter, bis sie tot zusammenbrechen.« Die Worte sprudelten aus mir heraus wie kaltes Wasser über Steine.
    Chade hob den Blick von der Karte und schaute mich väterlich an. »Erstaunlich, wie gut Burrich über Carrissamen Bescheid
weiß. Ich bin froh, dass du ihm so gut zugehört hast. Jetzt bist du vielleicht so freundlich und schenkst mir die gleiche Aufmerksamkeit, während wir die nächste Etappe unserer Reise planen.«
    »Aber, Chade …«
    Er durchbohrte mich förmlich mit seinem Blick. »Burrich ist ein

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