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Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher

Titel: Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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eine Rinne, die das Regenwasser ausgewaschen hat. Doch wir haben keine andere Wahl.«
    Wie sich herausstellte, war es nicht ganz so schlimm, wie er es dargestellt hatte, aber auch kaum besser. Der Pfad war schmal und steil, und der Boden bestand aus losem Geröll. Chade ging mit der Laterne voran, ich folgte mit den Pferden im Schlepptau. An einer Stelle scheute der Braune und drängte zurück, brachte mich aus dem Gleichgewicht und zwang Rußflocke,
die sich in die andere Richtung bemühte, fast auf die Knie. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als wir den Gipfel der Klippen erreichten.
    Dann breiteten sich die Nacht und das weite Land um uns aus, der Mond war leicht von Wolken umschleiert und hoch oben sah man am sonst klaren Nachthimmel die weit verstreuten Sterne, da packte mich wieder der Geist der Herausforderung. Chades ekstatische Stimmung musste auf mich übergesprungen sein. Von dem Carrissamen waren seine Augen groß und glänzend, sogar im Laternenlicht, und seine etwas unnatürliche Lebhaftigkeit wirkte dennoch ansteckend. Selbst die Pferde schienen etwas zu spüren, schnaubten und warfen ihre Köpfe nach oben. Wir zogen die Sattelgurte stramm und stiegen auf. Chade musterte den sternenklaren Himmel und dann den Hang, der sich vor uns hinabsenkte. Beinahe mit einem Ausdruck der Verachtung hängte er unsere Laterne an den Sattel.
    »Auf!«, befahl er und spornte den Braunen an, der auch sofort davonstürmte. Rußflocke wollte nicht zurückbleiben, und deshalb tat ich, was ich nie zuvor gewagt hatte: Ich galoppierte bei Nacht über mir unbekanntes Terrain. Es kommt einem Wunder gleich, dass wir uns nicht alle das Genick gebrochen haben. Doch so geht es eben - manchmal ist das Glück mit Narren und Kindern. In jener Nacht waren wir, glaube ich, beides.
    Chade übernahm die Führung, und ich folgte ihm. Damals löste sich für mich ein weiteres Teil des Rätsels um Burrich. Denn es liegt ein Gefühl tiefen inneren Friedens darin, den eigenen Willen aufzugeben und sich bedenkenlos, auf Gedeih und Verderb einem anderen auszuliefern. Während jenem wilden Galopp damals, als uns der Nachtwind um die Ohren pfiff
und nur die Sterne Chade als Wegweiser dienten, verschwendete ich keinen Gedanken daran, was geschehen könnte, falls wir die Orientierung verloren oder ein Pferd samt Reiter stürzte. Ich fühlte mich jeglicher Verantwortung für mein Tun enthoben. Alles war plötzlich einfach und klar. Ich tat, was Chade mir sagte, und baute darauf, dass er das Richtige tun würde. So ließ ich mich begeistert von dieser überschwänglichen Woge des Vertrauens hinwegtragen, und irgendwann begriff ich: Dies war es, was Burrich von Chivalric bekommen hatte und was er so schmerzlich vermisste.
    Wir ritten die ganze Nacht hindurch. Chade ließ die Pferde verschnaufen, aber längst nicht so oft, wie Burrich es getan hätte. Er machte auch mehr als einmal halt, um nach Landmarken und dem Stand der Sterne auszuschauen und sich zu überzeugen, dass wir uns noch auf dem richtigen Weg befanden. »Siehst du den Berg da drüben, der sich so schwarz vom Himmel abhebt? Du kannst ihn vielleicht nicht so genau erkennen, aber ich erkenne ihn selbst im Dunkeln. Bei Tag erinnert seine Form an die Kappe eines Butterhändlers. Keeffashaw nennt man ihn. Wir müssen uns immer westlich von ihm halten. Weiter geht’s!«
    Ein anderes Mal hielt er auf einer Hügelkuppe an. Ich zügelte mein Pferd und blieb neben seinem Braunen stehen. Chade saß hoch aufgerichtet im Sattel, regungslos, wie aus Stein gemeißelt. Dann zeigte er mit ausgestrecktem Arm nach vorn. Seine Hand zitterte leicht. »Siehst du die Schlucht? Wir sind etwas zu weit nach Osten abgekommen. Beim Weiterreiten müssen wir das ausgleichen.«
    Für mich war die Schlucht so gut wie unsichtbar, ein dunkler Strich in der sternenhellen Landschaft. Ich fragte mich, woher
er gewusst haben konnte, dass sie dort war. Vielleicht eine halbe Stunde später deutete er nach links, wo auf einer Anhöhe ein einsames Licht blinzelte. »Dort in Rocken ist für jemanden die Nacht schon zu Ende«, meinte er. »Wahrscheinlich knetet der Bäcker den Teig für die ersten Morgenbrötchen.« Er drehte sich im Sattel zu mir herum, und ich spürte sein Lächeln mehr, als ich es sah. »Kaum eine Meile von hier bin ich geboren worden. Komm, Junge, reiten wir. Der Gedanke an Piraten so nahe bei Rocken bereitet mir Unbehagen.«
    Und so ritten wir weiter. Der nahende Morgen färbte den Himmel grau, bevor mir wieder

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