Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
nicht zu ergründen, ob ich das Lächeln in ihrem Mundwinkel als Drohung deuten sollte oder nicht.
Irgendeine Entscheidung musste ich treffen, wenn ich mich nicht zum Narren machen wollte, also stand ich auf und stieg zum Dachboden hinauf. Als ich mit meinem Bündel wieder herunterkam, wartete Merle am Fuß der Leiter.
»Schöner Umhang«, bemerkte sie trocken. »Habe ich ihn nicht schon einmal irgendwo gesehen?«
»Möglicherweise«, antwortete ich ruhig. »Möchtest du auch das Messer sehen, das dazugehört?«
Merle wehrte breit lächelnd ab, drehte sich um und ging, ohne sich weiter zu vergewissern, ob ich ihr folgte. Erneut verhielt sie sich wieder ganz seltsam, so als wolle sie mir gleichzeitig vertrauen und mich herausfordern. Mit gemischten Gefühlen ging ich ihr hinterher.
Draußen trieb ein scharfer Wind den feuchten Dunst vom See her durch die Gassen; die Feuchtigkeit schlug sich in Tropfen auf meiner Haut und den Kleidern nieder. Prompt begann meine Schulter wieder zu schmerzen. Es brannten keine Fackeln, nur aus den Ritzen der Fensterläden und unter den Türschwellen hervor drang etwas Licht auf die Straße. Merle ging weiter zielstrebig voraus, denn offenbar hatten sich ihre Augen ebenso schnell an die Dunkelheit gewöhnt wie meine.
Sie führte mich vom Kai und den ärmeren Vierteln weg, stadteinwärts, zu den Straßen der Kaufleute und den Wirtshäusern, in denen Gilden und Zünfte verkehrten. In der Nähe lag auch ihre Herberge. Sie öffnete eine Tür mit dem Emblem eines Eberkopfs und forderte mich mit einer ausholenden Handbewegung auf, einzutreten. Ich tat es, aber nicht, ohne mich vorher gründlich umgesehen zu haben. Obwohl mir nichts Verdächtiges auffiel, war mir, als ob ich meinen Kopf in eine Schlinge steckte.
Drinnen war es hell und warm. In dieser Gaststube waren die Tische sauber, die Binsenstreu war so gut wie frisch und die Luft von Bratendüften geschwängert. Ein Schankbursche, der mit einem Tablett voll schäumender Bierkrüge an uns vorübereilte, warf einen kurzen Blick auf mich und schaute dann mit hochgezogenen Augenbrauen zu Merle. Offenbar stellte er ihren Geschmack in Bezug auf Männer in Frage. Merle antwortete ihm mit einem ironischen Kratzfuß und schwang sich dabei elegant den Umhang von den Schultern. Ich tat es ihr zwar nach, doch weit weniger pompös, und folgte ihr zu einem Tisch neben dem Kamin.
Sie nahm Platz, dann schaute sie zu mir auf, überzeugt, mich am Haken zu haben. »Ich denke, du wirst einverstanden sein, wenn wir uns vor unserer Unterredung etwas stärken«, meinte sie liebenswürdig und deutete einladend auf den Stuhl gegenüber. Ich setzte mich, drehte den Stuhl aber so, dass ich die Wand im Rücken hatte und den Raum überblicken konnte. Ein kleines Lächeln umspielte ihren Mund, und ihre dunklen Augen funkelten vor diebischem Vergnügen. »Ich versichere dir, du hast nichts von mir zu befürchten. Im Gegenteil, ich bin es, die sich in Gefahr begeben hat, um dich zu finden.«
Sie schaute sich um, dann rief sie einem Burschen namens Quercus zu, er solle zwei Teller von dem gebratenen Schweinefleisch bringen, frisches Brot mit Butter und dazu Apfelwein. Flugs war er mit allem zur Stelle und deckte den Tisch mit einer Hingabe, die verriet, dass er ein Auge auf Merle geworfen hatte. Mir schenkte er dagegen kaum Beachtung, außer dass er über meinen feuchten Tragekorb die Nase rümpfte. Ein anderer Gast rief nach ihm, und Merle machte sich mit Appetit über ihren Teller her. Nach kurzem Zögern begann auch ich zu essen. Seit Tagen hatte ich keinen Bissen frisches Fleisch zwischen die Zähne bekommen, so dass mich der Wohlgeschmack der knusprigbraunen Fettkruste nun fast überwältigte. Das Brot war duftig und die Butter süß. Seit Bocksburg war mein Gaumen nicht mehr so gekitzelt worden. In der ersten Begeisterung dachte ich an nichts anderes als meinen Hunger; dann erinnerte mich der erste Schluck Apfelwein plötzlich an Rurisk, den man mit ebensolchem Wein aus Farrow vergiftet hatte, und ich stellte den Becher behutsam wieder hin. »Du hast mich also gesucht, sagst du?«
Merle nickte kauend. Sie schluckte, wischte sich den Mund ab und fügte hinzu: »Und du warst nicht leicht aufzuspüren, denn statt nach dir herumzufragen, habe ich mich ganz allein auf meine beiden Augen verlassen. Ich hoffe, du weißt das zu schätzen.«
Ich nickte kurz. »Und was nun, da du mich gefunden hast? Was willst du von mir? Schweigegeld? Wenn es das ist, wirst du
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