Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Stadt eingedrungen, um die Verräter zu suchen und zu töten. Dann sind sie wieder verschwunden.« Sie schüttelte den Kopf. »Die genauen Zusammenhänge sind aber zu kompliziert, um sie jetzt zu erklären, selbst wenn ich sie ganz durchschauen würde. Offenbar hat sich die Garnison in Mondesauge seit Jahren bestechen lassen. Die Offiziere wurden gut bezahlt, um beide Augen zuzudrücken. Und die Schmuggler haben dafür gesorgt, dass die hier stationierten Soldaten ihren Anteil an den besseren Dingen des Lebens erhielten. Hauptmann Mark hat wohl den Rahm abgeschöpft. Er war es nicht ganz allein, aber er war auch kein Mensch, der gerne teilt.
Dann wurde Burl hergeschickt, der nichts von dem Übereinkommen wusste. Er brachte neue Truppen mit sich und versuchte, hier militärische Disziplin einzuführen. Nik hat dich an Mark verkauft, doch irgendjemand ergriff dabei gleichzeitig die Gelegenheit, Mark und seine vielen kleinen Nebengeschäfte an Burl zu verraten. Burl wiederum sah eine Chance, dich zu ergreifen und außerdem noch einen Schmugglerring zu zerschlagen. Aber Nik Felsenfest und sein Clan hatten viel Geld bezahlt, um mit den Pilgern unbehelligt die Grenze überschreiten zu können. Dann brachen die Soldaten ihr Versprechen, und so musste Nik den Pilgern gegenüber wortbrüchig werden.« Sie schüttelte den Kopf. Ihre Stimme klang angespannt. »Einige der Frauen wurden vergewaltigt. Ein Kind starb vor Kälte. Ein Mann wird nie wieder gehen können, weil er versucht hat, seine Frau zu beschützen.« Dann waren das Knarren und Rumpeln des Wagens und das ferne Tosen des Feuers eine Zeitlang die einzigen Geräusche. Merle sah mit sehr düsteren Augen auf die brennende Stadt. »Du hast von der Ehre unter Dieben gehört? Nun, Nik und seine Männer haben ihre Ehre reingewaschen.«
Ich konnte den Blick nicht vom Untergang Mondesauges abwenden. Das Schicksal von Burl und seiner Garde ließ mich kalt; aber dort hatten auch einfache Kaufleute, Händler und Familien gewohnt, alles arglose Bürger. Die Flammen machten keine Unterschiede. Und die Soldaten aus den Sechs Provinzen hatten ihre Gefangenen misshandelt, als wären sie Gesetzlose und Straßenräuber. Soldaten aus den Sechs Provinzen im Dienst eines Königs der Sechs Provinzen. Ich schüttelte den Kopf. »Listenreich hätte sie allesamt aufgehängt.«
Merle räusperte sich. »Mach dir keine Vorwürfe. Ich habe vor langer Zeit gelernt, nicht mir die Schuld für Böses zu geben, das mir angetan wurde. Es war nicht meine Schuld. Es war auch nicht deine Schuld. Du warst nur der Auslöser für diese Kette von tragischen Ereignissen.«
»Nenn mich nicht so«, bat ich sie.
Der Wagen rumpelte weiter und trug uns tiefer in die Nacht hinein.
KAPITEL 19
DIE VERFOLGUNG
D er Friede zwischen den Sechs Provinzen und dem Bergreich war noch verhältnismäßig jung, als König Edel den Thron bestieg. Jahrzehntelang hatten die Chyurda ihre Pässe so eifersüchtig kontrolliert wie die Sechs Provinzen den Handel auf dem Kalt und dem Bocksfluss. Zoll und Wegerechte wurden von beiden Mächten je nach Laune reglementiert, zum Nachteil beider. Doch unter der Regierung König Listenreichs kam es zum Abschluss eines Handelsabkommens zum gegenseitigen Nutzen zwischen Kronprinz Chivalric und Prinz Rurisk vom Bergreich. Der Friede und der Wohlstand, die diesem Abkommen folgten, sollten zusätzlich untermauert werden, als ungefähr zehn Jahre später die Chyurdaprinzessin Kettricken dem Thronfolger Veritas zur Gemahlin versprochen wurde. Aufgrund des unerwarteten Todes ihres älteren Bruders Rurisk am Vorabend der Vermählung wurde Kettricken die alleinige Thronerbin des Bergreichs. Eine Zeitlang sah es so aus, als könnten die Sechs Provinzen und das Bergreich unter einem gemeinsamen Herrscher zu einem Staat zusammenwachsen.
Doch das Schicksal nahm einen anderen Lauf. Für die Sechs Provinzen brachen schwere Zeiten an. Ein Feind von außen verheerte ihre Küsten, die Roten Korsaren, und Zwist in der Herrscherfamilie hatte zur Folge, dass man der Gefahr nur halbherzig begegnete. König Listenreich wurde ermordet; Kronprinz Veritas kehrte von einer Expedition nicht wieder, und als Prinz Edel sich aus eigener Macht die Krone aufsetzte, war sein Hass auf Kettricken so groß, dass sie aus Furcht um ihr Leben und das ihres Kindes in die heimatlichen Berge floh. Der selbsternannte ›König‹ Edel schien das Bergreich bereits als Teil der Sechs Provinzen betrachtet zu haben und fühlte sich
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