Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
nun um die Doppelmonarchie geprellt. Seine ersten Versuche, Truppen in die Berge zu schleusen, getarnt als ›Begleitschutz‹ für Handelskarawanen, wurden von den Chyurda vereitelt. Seine Proteste und Drohungen hatten die Schließung der Grenzen zu den Sechs Provinzen zur Folge. Daraufhin begann er eine gnadenlose Hetzkampagne gegen Königin Kettricken und schürte patriotische Feindseligkeiten gegen das Bergreich. Sein Ziel war offensichtlich: Er wollte das Bergkönigreich wenn nötig mit Gewalt erobern und es den Sechs Provinzen einverleiben. Der Zeitpunkt für einen solchen Krieg und eine solche Strategie schien jedoch schlecht gewählt. Die Länder, über die Edel rechtmäßig herrschte, wurden bereits von einem äußeren Feind bedrängt, den zu bekämpfen er nicht fähig oder nicht willens zu sein schien. Keiner Armee war es bis dahin gelungen, das Bergreich zu erobern, und doch hatte es den Anschein, als wäre genau das Edels Plan. Weshalb er jedoch alles daransetzte, dieses Land zu besitzen, das stellte anfänglich jedermann vor ein Rätsel.
Die Nacht war klar und kalt. Im hellen Mondlicht konnten wir den Verlauf der Straße gerade gut genug erkennen. Eine Zeitlang ließ ich meine Gedanken einfach nur schweifen, horchte auf das Knirschen der Pferdehufe und bemühte mich, das Erlebte zu verarbeiten. Merle nahm die Decken, die ich aus meiner Zelle mitgebracht hatte, und schüttelte sie aus. Eine gab sie mir, die andere hängte sie sich selbst um die Schultern. Sie hatte die Arme um die angezogenen Beine geschlungen und das Kinn auf den Knien, während sie auf den Weg hinter uns zurückblickte. Ich spürte, dass sie in Ruhe gelassen werden wollte. Wie in Trance beobachtete ich, wie der orangene Schein von Mondesauge allmählich in der Ferne verschwand, bis ich nach einer Weile wieder zu klarem Verstand kam.
»Krähe?«, rief ich über die Schulter. »Wohin fahren wir?«
»Weg von Mondesauge.« Ihre Stimme klang erschöpft.
Merle regte sich und schaute mich an. »Wir dachten, du wüsstest es.«
»Wo haben die Schmuggler ihr Versteck?«
Merles Schulterzucken war im Dunkeln mehr zu fühlen als zu sehen. »Sie wollten es uns nicht verraten. Sie sagten, falls wir dich befreien wollten, müssten wir uns von ihnen trennen. Sie schienen zu glauben, Burl würde weiter Jagd auf dich machen, selbst wenn Mondesauge in Schutt und Asche läge.«
Ich nickte. »Das stimmt. Er wird mir für alles die Schuld geben. Und er wird verbreiten lassen, die Brandstifter wären Soldaten aus dem Bergreich gewesen, die den Auftrag hatten, mich zu befreien.« Ich setzte mich aufrecht hin und rückte von Merle ab. »Wenn man uns ergreift, wird man euch beide töten.«
»Wir hatten nicht vor, uns fangen zu lassen«, erwiderte Krähe.
»Das wird man auch nicht«, versicherte ich ihr. »Nicht, wenn wir überlegt vorgehen. Halt an.«
Ich warf Merle meine Decke zu, sprang vom Wagen und ging nach vorn zu den Pferden. Nachtauge folgte mir neugierig. »Was hast du vor?«, wollte Krähe wissen, als ich den Zuggurt löste, die Aufhaltekette aushakte und die Deichsel auf den Boden fallen ließ.
»Das Sielengeschirr so einrichten, dass man die Pferde reiten kann. Kannst du ohne Sattel reiten?« Ich benutzte das Messer der Soldatin, um die Zügel zu kürzen. Krähe musste ohne Sattel reiten, ob sie es konnte oder nicht. Wir hatten keine Sättel.
»Mir bleibt wohl nichts anderes übrig«, murrte sie, als sie vom Bock herunterstieg. »Aber wir werden nicht sehr schnell vorankommen, zu zweit auf diesen Kleppern.«
»Es wird schon gehen. Ihr braucht die Pferde nicht zu hetzen. Reitet einfach langsam und stetig voran.«
Merle stand auf der Ladefläche des Wagens und schaute auf mich hinunter. Auch ohne das Licht des Mondes konnte ich ihr ungläubiges Gesicht erahnen. »Wir brauchen die Pferde nicht zu hetzen? Soll das heißen, du verlässt uns hier? Nachdem wir zurückgekommen sind, um dich zu befreien?«
So hatte ich die Sache noch gar nicht betrachtet. »Ihr verlasst mich, wenn man es genau nimmt«, womit ich mein Vorhaben bekräftigte. »Jhaampe ist der einzige größere Ort hinter Mondesauge. Aber reitet nicht geradewegs dorthin, denn damit rechnen sie. Am besten haltet ihr euch eine Zeitlang in irgendeinem kleinen Dorf verborgen. Die Chyurda sind ein gastfreundliches Volk. Hört ihr keine weiteren Gerüchte über fremde Soldaten, dann reitet weiter nach Jhaampe. Doch vorerst solltet ihr ein gutes Stück Wegs hinter euch bringen, bevor
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