Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
retten?
Diese Frage bedurfte keiner Antwort. »Der Schlüssel ist in dem Beutel da«, sagte ich zu Merle.
Zuerst starrte sie nur darauf nieder, dann bückte sie sich und fummelte den schweren Eisenschlüssel aus der Ledertasche. Ich schaute zu, wie sie ihn ins Schlüsselloch steckte und betete nun, dass ich die Vorrichtung zuvor nicht zu sehr beschädigt hatte. Sie drehte den Schlüssel, löste den Türhaken und hob den Riegel von der Tür. »Nimm die Decken mit«, befahl sie, als ich herauskommen wollte. »Du wirst sie brauchen. Draußen ist es bitterkalt.«
Von der Rückwand meiner Zelle schlug mir schwelende Hitze entgegen. Ich raffte die Decken von der Pritsche und griff nach meinem Umhang und den Handschuhen. Rauch quoll zwischen den Balken hervor. Wir flohen, und der Wolf heftete sich an unsere Fersen.
In den Gassen nahm keiner von uns Notiz. Der Kampf gegen das Feuer war inzwischen sinnlos geworden. Ganz Mondesauge brannte lichterloh, und das Feuer wütete nach Belieben. Die Leute, die ich sah, waren nur noch damit beschäftigt, ihr Leben und so viel wie möglich von ihrer Habe zu retten. Ein Mann, der uns mit einem vollbeladenen Handwagen entgegenkam, warf uns nur einen warnenden Blick zu. Ich fragte mich, ob es sein Eigentum war, das er da in Sicherheit brachte. Weiter unten auf der Straße brannte ein Stall. Aufgeregte Knechte zerrten Pferde ins Freie. Die Schreie der noch in dem Gebäude befindlichen Tiere waren entsetzlich mit anzuhören. Laut krachend stürzte gegenüber ein Haus ein und hauchte mit einem furchtbaren Seufzer Hitze und Asche in unsere Richtung. Der Wind hatte dem Feuer geholfen, sich durch die ganze Stadt auszubreiten. Er peitschte die Flammen von Haus zu Haus und wehte Funken über die Palisaden hinweg bis zu dem Wald an den Berghängen. Vielleicht vermochte es nicht einmal der tiefe Schnee, das Feuer zu ersticken. »Komm schon!«, schrie mir Merle ärgerlich entgegen. Ich schrak zusammen und bemerkte erst jetzt, dass ich einfach nur dagestanden und gegafft hatte. Mit den unter den Arm geklemmten Decken folgte ich ihr durch die verwinkelten Gassen. Sie schien den Weg zu kennen.
Wir kamen zu einer Kreuzung. Dort hatte es einen Kampf gegeben. Vier Tote lagen auf der Straße, alle in den Farben von Farrow Ich beugte mich über eine gefallene Soldatin, um mir ihr Messer und ihre Gürteltasche anzueignen.
Schließlich näherten wir uns dem Stadttor. Plötzlich hielt vor uns ein Gespann mit zwei unterschiedlich großen Pferden, denen vor Angst der Schaum vor dem Mund stand. »Springt auf!«, rief jemand. Merle folgte der Aufforderung ohne Zögern.
»Krähe?«, fragte ich. »Mach schnell!«, lautete die Antwort. Ich stieg auf, und der Wolf war mit einem Satz neben mir. Krähe wartete nicht, bis wir uns eingerichtet hatten. Sie ließ die Zügel auf die Rücken der Pferde klatschen, und der Wagen setzte sich schlingernd in Bewegung.
Vor uns war das offene und unbewachte Tor, und seine Flügel schwangen im Atem des Feuers hin und her. An einer Seite sah ich einen Toten liegen. Krähe ließ deswegen die Pferde aber nicht langsamer gehen. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, rollten wir durch das Tor und schlossen uns auf der nächtlichen Straße dem Zug der Menschen an, die mit Karren und Handwagen vor dem flammenden Inferno flüchteten. Die meisten schienen zu den wenigen Gehöften in der Umgebung unterwegs zu sein, um dort für die Nacht unterzukommen; doch Krähe machte keinerlei Anstalten, vom Hauptweg abzubiegen. Als die Straße dann nach und nach leerer wurde, trieb sie die Pferde zu einer schnelleren Gangart an. Ich spähte an ihr vorbei nach vorn.
»Es sollte nur ein Ablenkungsmanöver sein«, hörte ich Merle mit beinahe ehrfürchtiger Stimme sagen. Sie schaute auf den Weg zurück, den wir gekommen waren, und ich folgte ihrem Blick.
Die Palisaden von Mondesauge zeichneten sich mit einer schwarzen Silhouette vor dem orangefarbenen Schein der ungeheuren Feuersbrunst ab. Funken stoben so dicht wie Bienenschwärme in den Nachthimmel darüber. Das Brüllen der Flammen klang wie Sturmgetöse.
»Ein Ablenkungsmanöver?« Ich schaute sie an. »Ihr habt das getan? Um mich zu befreien?«
Merle warf mir einen belustigten Blick zu. »Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Nein. Krähe und ich sind deinetwegen gekommen, aber du warst nicht der Grund für all das. Es ist mehr oder weniger das Werk von Niks Familie. Es ging um Rache an denen, die ihr Wort gebrochen haben. Sie sind in die
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