Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Menschen zu sein?«
Trotz der hitzigen Wut, in die ich mich hineingesteigert hatte, senkte ich den Blick vor dem schmerzverzerrten Erstaunen in Burrichs Augen. »Nein«, erklärte ich nach einem tiefen Atemzug dumpf, »du kannst es nicht verstehen, kannst es nicht wissen. Du kannst dir nicht im Entferntesten vorstellen, was du mir alles genommen hast. Ich müsste tot sein, aber du wolltest mich nicht sterben lassen. Alles in der besten Absicht, immer in dem Glauben, du tust das Richtige, ungeachtet meiner Schmerzen. Aber wer hat dir dieses Recht über mich gegeben? Wer hat verfügt, dass du mir das antun darfst?«
Es herrschte Totenstille, die nur vom Klang meiner Stimme durchbrochen war. Chade saß da wie versteinert, und der Ausdruck auf Burrichs Gesicht machte mich nur noch zorniger. Ich sah, wie er um Beherrschung rang und sich sammelte. Mit ruhiger Würde sagte er: »Dein Vater hat mich mit dieser Aufgabe betraut, Fitz. Ich habe mein Möglichstes für dich getan, mein Junge. Der letzte Auftrag meines Königs. Chivalric sagte zu mir: ›Ich gebe meinen Sohn in deine Obhut, sieh zu, dass er mir Ehre macht.‹ Und ich...«
»Und du hast die nächsten zehn Jahre deines Lebens damit vergeudet, den Bastard eines anderen Mannes aufzuziehen«, fiel ich ihm mit beißendem Sarkasmus ins Wort. »Hast dich um mich gekümmert, weil es das Einzige ist, wovon du wirklich etwas verstehst. Dein ganzes Leben lang, Burrich, hast du dich um einen anderen gekümmert, hast einen anderen wichtiger genommen, hast auf ein eigenes Leben verzichtet, zugunsten eines anderen. Treu wie ein Hund! Hast du je daran gedacht, dein eigener Herr zu sein, deine eigenen Entscheidungen zu treffen? Oder hängst du deshalb an der Flasche, aus Angst davor?« Meine Stimme war immer lauter geworden und überschlug sich. Als mir dann die Worte versagten, schaute ich Burrich keuchend an. Als Kind, auch noch als Halbwüchsiger, hatte ich mir oft geschworen, dass Burrich eines Tages für all die Schläge, die er mir verabreicht hatte, bezahlen würde, und auch für jede Box, die ich, obwohl ich schon zum Umfallen müde gewesen war, auszumisten hatte. Mit meinen letzten Worten hatte ich diesen Racheschwur eines trotzigen Knaben zehnfach eingelöst. Ich sah, wie schwerfällig sich Burrichs Brust hob und senkte, als versuche er, nach einem lähmenden Faustschlag tief Atem zu schöpfen. Der Ausdruck schmerzhafter Fassungslosigkeit, mit dem er mich anschaute, war derselbe, als hätte ich ihm ein Messer in den Leib gestoßen.
Meine Wut war verraucht. Ich wusste nicht genau, woher dieser Schwall von Vorwürfen und Anklagen stammte, aber keine Macht der Welt konnte die Worte jetzt noch zurückholen, keine Entschuldigung machte sie ungesagt oder änderte etwas an ihrer Wirkung. Plötzlich hoffte ich, er würde mich schlagen, den Bann brechen, uns beide erlösen.
Schwerfällig stand Burrich auf. Der Stuhl scharrte über den Boden, wackelte und kippte um. Burrich, den kein noch so großes Quantum Branntwein in die Knie zu zwingen vermochte, torkelte wie ein Betrunkener zur Tür und hinaus in die Dunkelheit. Ich saß still da und spürte, wie etwas in mir sehr still wurde. Ich hoffte, es wäre mein Herz.
Dann herrschte Schweigen. Es war eine halbe Ewigkeit, bis Chade schließlich tief aufseufzte und mich nach einer Weile leise fragte: »Warum?«
»Ich weiß nicht.« Das Lügen war so leicht. Chade selbst hatte es mich gelehrt. Beinahe hätte ich versucht, es ihm zu erklären, aber nein. Ich hörte mich selbst um die Wahrheit herumreden. »Vielleicht musste ich mich von ihm frei machen, von allem, was er für mich getan hat, selbst wenn ich es nicht wollte. Er muss damit aufhören, mir Gutes zu tun, das ich ihm nie vergelten kann. Er muss damit aufhören, Opfer zu bringen, für die ich auf ewig in seiner Schuld stehe. Ich will nicht mehr in seiner Schuld stehen. Ich will keinem Menschen irgendetwas schulden.«
Chade ließ sich Zeit mit einer Antwort; als er mit seinen Worten schließlich anhob, klang seine Stimme nüchtern. Die langen, schmalen Hände lagen ruhig und entspannt auf seinen Oberschenkeln, aber seine grünen Augen glänzten kupfern und verrieten, wie es in ihm aussah. »Seit deiner Rückkehr aus dem Bergreich kam es mir vor, als hättest du einen Dämon im Leib, der dich zwingt, Streitereien vom Zaun zu brechen. Mit jedem x-Beliebigen. Wenn du als Junge widerborstig oder mürrisch gewesen bist, konnte ich es damit entschuldigen, dass du noch ein Kind
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