Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Der Geruch vom Fluss her wurde stärker. Einmal setzte ich mich zum Ausruhen auf die Einfassung eines großen runden Beckens, das vielleicht einst ein Brunnen gewesen war oder ein Waschplatz. Sofort erwachte die Stadt wieder zum Leben. Ein Reiter kam und tränkte sein Pferd so dicht neben mir, dass ich ihn hätte berühren können. Er nahm mich nicht zur Kenntnis; doch mir fiel an ihm die Fremdartigkeit seiner Kleidung und die eigenartige Form des Sattels auf, den sein Pferd trug. Eine Gruppe von Frauen ging an mir vorbei, sie plauderten und lachten. Gekleidet waren sie in lange, fließende Gewänder, die beim Gehen um ihre Knöchel flatterten. Allen fiel das blonde Haar bis auf die Hüften, und ihre Stiefel hallten auf dem Straßenpflaster. Als ich aufstand, um sie anzusprechen, verschwanden sie und die ganze Szenerie wieder vor meinen Augen.
Noch zweimal weckte ich so die Stadt, bevor mir endlich auffiel, dass es nur die Berührung meiner Hand an einer der kristallgeäderten Mauern bedurfte, um alles zum Leben zu erwecken. Ich musste zwar all meinen Mut zusammennehmen; doch während ich meinen Weg fortsetzte, strich ich mit den Fingerspitzen an den Mauern der Häuser entlang, und die Vergangenheit erlebte ihre nächtliche Wiederauferstehung. Immer noch fiel lautlos der Schnee, in dem die vorüberfahrenden Wagen aber keine Räderspuren hinterließen. Passanten kamen vorüber, und es fiel mir schwer, sie alle nur als Geister zu betrachten, wenn sie sich gegenseitig Begrüßungen zuriefen. Denn im Grunde war in ihrer Welt ich das Phantom, das unbeachtet und unsichtbar vorüberglitt.
Zu guter Letzt gelangte ich an einen breiten schwarzen Fluss, der unter dem Sternenhimmel behäbig dahinströmte. An schemenhaft erkennbaren Kais schaukelten Boote und Kähne, und weiter zur Mitte hin, im tieferen Wasser, ankerten zwei Anderthalbmaster. An Deck der beiden Schiffe brannten Laternen. Fässer und Ballen warteten am Ufer darauf, verladen zu werden. In einem Torbogen war unter ein paar Leuten ein Glücksspiel im Gange, und jemandes Ehrlichkeit wurde von mehreren lautstark in Frage gestellt. Die Leute kleideten sich anders als die Flussschiffer und das Bock’sche Hafengesindel, und ihre Sprache klang mir fremd in den Ohren. In jeder anderen Hinsicht gehörten sie aber zum selben Schlag - jedenfalls soweit ich es beurteilen konnte. Aus dem Wortwechsel entwickelte sich ein Handgemenge, das schnell in eine allgemeine Prügelei ausartete. Die Pfiffe der Nachtwache bereiteten dann dem Tumult ein Ende. Die Beteiligten rannten in alle Richtungen auseinander, und bald lag der Kai wieder still und friedlich da.
Ich nahm die Hand von der Mauer, stand danach kurze Zeit in der schneeglitzernden Dunkelheit und wartete, bis meine Augen sich umgewöhnt hatten. Schiffe, Kais und Hafengesindel waren verschwunden. Nur das schwarze Wasser floss unter einer Schicht aus quirlendem weißen Dunst ruhig dahin.
Ich ging zum Ufer hinunter. Hier war das Pflaster uneben und lückenhaft. Es hatte viele Hochwasser erlebt, und niemand hatte seine Schäden ausgebessert. Als ich mit dem Rücken zum Fluss die Silhouette der Stadt betrachtete, sah ich die schemenhaften Umrisse eingestürzter Türme und bröckelnder Mauern. Erneut spürte ich mit der Kraft meiner Sinne hinaus, und wieder fand ich keine Spur von Leben.
Ich schaute auf den Fluss. Etwas in dem allgemeinen Panorama rührte an eine Erinnerung. Die Stelle war eine andere, das wusste ich, doch in diesen Fluss hatte Veritas seine Hände und Arme eingetaucht und sie durchdrungen von Magie wieder herausgezogen. Vorsichtig suchte ich mir über das zerbrochene Pflaster einen Weg zum Wasser hinunter. Als ich dort angekommen war, ging ich in die Hocke und dachte nach: Es sah aus wie Wasser, es roch wie Wasser. Doch... - Nun, ich hatte einmal von Asphalttümpeln gehört, die von einer Schicht Wasser bedeckt waren; und ich wusste, dass Öl auf Wasser schwamm. Vielleicht floss unter dem schwarzen Wasser ein anderer Fluss, aus silberner Magie. Vielleicht befand sich weiter flussauf- oder flussabwärts der Zustrom reiner Gabe, den ich in meiner Vision gesehen hatte.
Ich zog den Fäustling aus und entblößte meinen Arm, dann legte ich die flache Hand auf das strömende Wasser und fühlte die eisige Kälte an der Haut. Falls sich unter dieser Oberfläche die Gabe befand, so spürte ich sie nicht. Doch vielleicht, wenn ich den Arm hineintauchte, geschah mir das gleiche Wunder wie Veritas. Ich bereitete mich
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