Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
über mir in ihren Betten schlummernden Hausbewohnern.
Vor dem Einschlafen versuchte ich, die Wälle um mein Bewusstsein neu aufzurichten, doch es war, als wollte man, in einem Fluss stehend, sich die Füße abtrocknen. Je näher der Schlaf kam, umso schwerer fiel die Erinnerung daran, wo die jeweiligen Grenzen lagen. Wo hörte ich auf, und wo begannen die anderen, die mir teuer waren? Erst träumte ich von Kettricken, Merle, Krähe und dem Narren, die mit Fackeln die Umgebung des Lagers absuchten, während Nachtauge unruhig und winselnd hin und her lief. Es war kein angenehmer Traum. Ich wandte mich davon ab und glitt tiefer in mich selbst hinein. So dachte ich zumindest.
Ich fand die vertraute Hütte vor. Ich erkannte den schlichten Raum, den Tisch aus grobem Holz, den Kamin mit dem sparsam brennenden Feuer, das sorgfältig gemachte schmale Bett. Molly saß in ihrem Nachtkleid am Feuer, wiegte Nessel auf den Armen und sang leise ein Lied von den Sternen, die am Himmel vorüberziehen. Ich konnte mich an keine Wiegenlieder erinnern und war deshalb ebenso bezaubert davon wie Nessel. Die großen Augen des Kindes hingen am Gesicht der Mutter, und die winzige Faust hielt ihren Zeigefinger umklammert. Molly sang das Lied wieder und wieder und wieder, doch mir wurde nicht langweilig dabei. Es war ein Bild, das ich einen ganzen Monat lang hätte betrachten können, auch ein ganzes Jahr, ohne dessen überdrüssig zu werden. Aber die Augenlider der Kleinen sanken langsam herab, hoben sich kurz wieder, fielen dann zu und blieben schließlich geschlossen. Ihr gespitztes Mündchen bewegte sich, als nuckelte sie im Schlaf. Ihr schwarzes Haar ringelte sich. Molly senkte den Kopf und strich mit den Lippen über Nessels Stirn; dann erhob sie sich müde und trug die Kleine zu ihrem Bett. Sie schlug die Decke zurück, legte das Kind hinein und ging noch einmal zum Tisch, um die Kerze auszublasen. Im Schein des Herdfeuers sah ich zu, wie Molly sich vorsichtig hinlegte und dann die Decke über das Kind und sich selbst breitete. Sie schloss die Augen, seufzte einmal tief auf und rührte sich dann nicht mehr. Ich beobachtete ihren bleiernen Schlaf, einen Schlaf der Erschöpfung, und mich überkam unendlich viel Scham. Dieses harte, freudlose Leben hatte ich mir nicht für sie gewünscht, geschweige denn für unser Töchterchen. Und ohne Burrich wäre es noch schwerer für sie gewesen. Ich ergriff die Flucht vor der traurigen Szene und vor meinen Schuldgefühlen, worauf ich mir selbst versprach: Alles wird besser werden. Ich werde für sie sorgen, irgendwie... falls ich zurückkehre.
»Ich rechnete damit, dass bei meiner Rückkehr die Dinge besser sein würden. Aber das hier ist in gewisser Weise beinahe zu gut, um wahr zu sein.«
Das war Chades Stimme. Er beugte sich in einem halbdunklen Raum über einen Tisch und studierte ein Pergament. Ein hell erleuchteter Kerzenständer beleuchtete sein Gesicht und die Landkarte, die ausgerollt vor ihm lag. Er sah müde aus, aber frohen Sinnes. Sein graues Haar war zerzaust. Das weiße Hemd stand weit offen und hing über der Hose, so dass es aussah wie ein Kleid. Der alte Mann war sehnig und muskulös wo er zuvor mager, fast ausgezehrt gewirkt hatte, - er war wieder ganz so, wie ich ihn von früher kannte. Er trank einen kräftigen Schluck aus einem dampfenden Becher und schüttelte über irgendetwas den Kopf. »Edel scheint in seinem Krieg gegen das Bergreich keinen Fußbreit Boden zu gewinnen. Seine Vorstöße kann man fast nur Scharmützel nennen, er leistet keine konzentrierte Anstrengung, erobertes Gebiet zu besetzen, zu halten oder seine Truppen zusammenzuziehen, um sich den Weg nach Jhaampe freizukämpfen. Was spielt er für ein Spiel?«
»Komm her, und ich zeig’s dir.«
Chade hob seinen Blick von der Karte und zeigte sich dabei halb belustigt, halb verstimmt. »Ich suche hier die Antwort auf eine ernsthafte Frage. In deinem Bett werde ich sie wohl kaum finden.«
Die Frau warf die Decken zurück und ging auf bloßen Füßen hinüber zum Tisch. Sie besaß die geschmeidigen Bewegungen einer Raubkatze, ihre Nacktheit wirkte nicht wie eine Blöße, sondern wie ein Schutzpanzer. Das lange braune Haar hatte sich aus dem Kriegerzopf gelöst und hing um ihre Schultern. Sie war nicht mehr jung, und die lange Narbe von einem Schwerthieb zog sich quer über ihre Rippen; aber auf eine verwegene und dennoch weibliche Art hatte sie noch immer eine atemberaubende Ausstrahlung. Sie beugte sich
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