Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
durch das Fensterkreuz flutete. Mein Feuer war bis auf etwas Glut unter der Asche erloschen; aber dennoch war mir nicht sonderlich kalt. Im Tageslicht wirkte der Raum, in dem ich mich befand, ziemlich betrüblich. Ich warf einen Blick ins Nebenzimmer, da ich auf der Suche nach einer Treppe zu den oberen Stockwerken war, von wo aus ich hoffte, einen besseren Ausblick über die Stadt zu haben. Doch alles, was ich fand, waren die morschen Überreste hölzerner Stufen, denen ich mich nicht einmal für einen kurzen Aufstieg anzuvertrauen wagte. Die feuchten, kalten Mauern und der Steinfußboden des Hauses erinnerten mich zudem an den Kerker von Bocksburg. Ich verließ den Laden und trat in einen Tag hinaus, der fast mild zu nennen war. Der Schnee der vergangenen Nacht schmolz dahin und sammelte sich bereits zu Wasserpfützen. Ich nahm meine Mütze ab und ließ den lauen Wind durch mein Haar streichen. Eine erste Ahnung von Frühling lag in der Luft.
Ich hatte erwartet, dass das Tageslicht die Geister der Stadt auslöschen würde, doch im Gegenteil, das Licht verlieh ihnen sogar noch mehr Substanz. Beim Bau der Stadt war hauptsächlich schwarzer, von Quarzadern durchzogener Stein als Material verwendet worden. Ich brauchte auch jetzt nichts weiter zu tun, als ihn zu berühren, um die Stadt um mich herum zum Leben zu erwecken. Doch auch ohne diesen Zauber glaubte ich, um mich herum schemenhafte Gestalten zu sehen, das Gemurmel ihrer Stimmen zu hören und ihr geschäftiges Hin und Her zu spüren. Ich wanderte eine Zeitlang durch die Straßen und hielt Ausschau nach einem hohen, möglichst gut erhaltenen Gebäude, das mir einen weiten und guten Ausblick versprach. Im Hellen sah ich, dass der Verfall der Stadt erheblich weiter fortgeschritten war, als ich es nach meinem nächtlichen Streifzug vermutet hatte. Kuppeldächer waren eingestürzt, Fassaden durchzogen von langen, grün bemoosten Rissen. Bei anderen Gebäuden waren die Außenwände zusammengefallen, so dass man die inneren Räume sehen konnte. Ihre Überreste hatten die Straße in ein Trümmerfeld verwandelt, durch das ich mir einen Weg suchen musste. Nur wenige der höheren Gebäude hatten dem Verfall getrotzt; manche neigten sich aufeinander zu wie weinselige Zecher. Endlich entdeckte ich ein geeignetes Bauwerk, dessen hohe Turmspitze weit über seine Nachbarn hinausragte, und ich bog in die Straße ein, die mich aller Voraussicht nach dorthin führen würde.
Als ich das Gebäude erreichte, blieb ich erst einmal stehen und staunte. Ich fragte mich, ob dies wohl ein Palast gewesen war. Gewaltige steinerne Löwen bewachten die Stufen zum Eingangsportal. Die Außenmauern bestanden aus den gleichen schwarz schimmernden Quadern wie fast jedes Bauwerk in der Stadt, waren hier aber geschmückt mit Tier- und Menschenskulpturen aus leuchtend weißem Stein. Durch den scharfen Kontrast von Weiß auf Schwarz und die Größe dieser Figuren wirkte der Anblick buchstäblich überwältigend. Eine Hünin von Weib führte einen riesigen Pflug hinter einem Gespann gigantischer Ochsen. Ein geflügeltes Geschöpf- ein Drache vielleicht - beanspruchte eine ganze Mauerfläche für sich allein. Langsam stieg ich die breite Treppe zum Portal hinauf. Dabei schien es mir, als würde das Raunen der Stadt nur noch lauter und wirklicher. Ein junger Mann mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht kam die Stufen heruntergesprungen. In einer Hand hielt er eine Schriftrolle. Ich trat zur Seite, um nicht mit ihm zusammenzustoßen, doch als er an mir vorbeieilte, spürte ich rein gar nichts von ihm, nicht das geringste Lebenszeichen. Ich drehte mich um und schaute ihm nach. Seine Augen hatten die Farbe von Bernstein.
Die großen Flügeltüren des Portals waren geschlossen und verriegelt, aber so morsch, dass ein behutsamer Stoß genügte, um das Schloss herauszubrechen. Ein Flügel schwang weit auf, während der andere, als sei er dankbar für die Erlösung, aus den Angeln kippte und auf dem Boden in Stücke zerbrach.
Bevor ich eintrat, spähte ich in den Raum dahinter. Strähnige, staubblinde Fensterscheiben aus dickem Glas dämpften den Wintersonnenschein zu einem dämmrigen Zwielicht, in dem nun der Staub des zerbrochenen Türflügels umhertanzte. Fast rechnete ich schon mit Fledermäusen, Tauben oder Ratten, die aufgestört in dunkle Ecken huschten. - Aber nichts dergleichen: Selbst die abgestandene Luft, die mir entgegenwehte, roch völlig leblos. Wie schon die Straße, so wurde nun offenbar
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