Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
abrutschendes Geröll noch einfacher, mich mitzureißen. Ich stand stockstill und zählte zehn Atemzüge, bevor das Geriesel aufhörte.
Um den nächsten Schritt zu tun, musste ich all meinen Mut zusammennehmen. Erst musterte ich den Boden und suchte eine Stelle aus, die vertrauenswürdig wirkte, dann stellte ich vorsichtig meinen Fuß darauf. Ich verlagerte mein Gewicht auf diesen Fuß, dann wählte ich die nächste Stelle für den nächsten Schritt. Als ich den reglosen Körper des Narren erreicht hatte, klebte mir das Hemd schweißnass am Rücken und meine verkrampften Kiefermuskeln schmerzten. Sehr, sehr langsam ließ ich mich neben ihm auf die Knie nieder.
Ich hob den Deckenzipfel, den Merle zum Schutz über sein Gesicht gebreitet hatte und schaute auf seine geschlossenen Augen. Seine Haut schimmerte mit der wächsernen Blässe eines Toten. Die Lippen waren ausgedörrt und schrundig, die Wimpern gelb verkrustet. Und er fühlte sich noch immer warm an.
»Narr?«, fragte ich ihn sanft, doch er gab keine Antwort. Ich redete weiter, in der Hoffnung, dass ein Teil von ihm mich hörte. »Ich werde dich aufheben und tragen müssen. Der Boden besteht nur aus lockerem Geröll, und wenn ich ausrutsche, geht es für uns beide bis ganz nach unten. Deshalb musst du dich ganz still verhalten, sobald ich dich auf die Arme genommen habe. Verstehst du?«
Er tat einen etwas tieferen Atemzug. Ich nahm es als Zustimmung. Dann kniete ich mich unterhalb von ihm hin und schob meine Hände und Arme unter seinen Körper. Als ich den Oberkörper aufrichtete, zuckte von meiner Narbe ausgehend ein gleißender Blitz durch meinen Rücken. Mir brach der Schweiß aus. Ich verharrte einen Augenblick in der knienden Haltung, kämpfte gegen den Schmerz an und überlegte jede einzelne meiner nächsten Bewegungen. Ich zog ein Bein nach vorne, setzte den Fuß auf und erhob mich langsam, sehr langsam aus den Knien. Sogleich gerieten überall wieder Steine ins Rollen. Ich musste mit mir kämpfen, um den Narren nicht einfach an mich zu drücken und schnell loszulaufen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis das Rauschen des Gerölls um mich herum aufhörte. Als endlich wieder Ruhe einkehrte, zitterte ich vor Anstrengung, weil ich immer noch vollkommen regungslos verharrte und knöcheltief in losem Schutt stand.
»FitzChivalric?«
Ich wandte langsam den Kopf. Kettricken und Krähe hatten uns eingeholt. Sie schauten zu mir hinunter. Beiden stand die Erschütterung über meine Lage ins Gesicht geschrieben. Kettricken besann sich als Erste.
»Krähe und ich gehen jetzt weiter. Bleib, wo du bist, rühr dich nicht. Sind Merle und die Jeppas drüben?«
Ich brachte ein kleines Nicken zustande. Sprechen konnte ich nicht; mein Mund war zu trocken.
»Ich hole ein Seil und komme zurück, so schnell es geht.«
Wieder antwortete ich nur mit einem Nicken. Ich hätte mich halb umdrehen müssen, um ihnen nachzuschauen; deshalb ließ ich es bleiben. Auch einen Blick in die Tiefe ersparte ich mir lieber. Der Wind streifte an mir vorbei; die Steine klickerten um meine Füße, und ich betrachtete das Gesicht des Narren.
Er wog nicht viel für einen erwachsenen Mann. Immer schon war er schmächtig und zartgliedrig gewesen. Ihm hatte immer seine Zunge zur Verteidigung gedient, nicht seine Fäuste. Doch während ich dort stand und ihn auf den Armen hielt, wurde er schwerer und schwerer. Der Schmerz in meinem Rücken weitete sich langsam und kreisförmig aus und zog bis in meine Arme hinein.
Der Narr regte sich schwach. »Still«, flüsterte ich.
Er hob müde die Lider und schaute zu mir auf. Seine Zunge versuchte die aufgesprungenen Lippen zu befeuchten. »Was tun wir?«, fragte er krächzend.
»Wir stehen stocksteif in der Mitte eines Bergrutsches.« Meine Kehle war so ausgedörrt, dass ich kaum noch eine Stimme hatte.
»Stell mich hin. Du brauchst mich nicht zu tragen«, sagte er matt.
»Das überlass ganz mir. Rühr dich nicht!«
Ich konnte fühlen, wie er vorsichtig und tief nach Atem schöpfte. »Weshalb bist du immer in der Nähe, wenn mir solche Dinge zustoßen?«
»Ich könnte dich dasselbe fragen«, antwortete ich hinterhältig.
»Fitz?«
Der Schrei kam von oben. Trotz der Schmerzen in meinem Rücken, drehte ich meinen Oberkörper, um hinaufzuschauen. Kettrickens Gestalt zeichnete sich als dunkle Silhouette vor dem Himmel ab. Sie hatte ein Jeppa bei sich, das Leittier; an dem leeren Packsattel war ein Seil festgebunden.
»Ich werde dir das Seil zuwerfen.
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