Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Versuch nicht es aufzufangen. Lass es einfach hinfallen; dann erst heb es auf und binde es dir um. Verstanden?«
»Ja.«
Sie konnte meine Antwort nicht gehört haben, doch sie nickte mir ermutigend zu. Im nächsten Augenblick flog das Seil durch die Luft und schlängelte sich zu mir herunter. Weniger als eine Armeslänge neben mir fiel es zu Boden und versetzte ein wenig Geröll in Bewegung, das aber nur wie ein kleines Rinnsal ein kurzes Stück hinunterströmte und dann versickerte. Ich schloss für einen Augenblick die Augen. Dann richtete ich den Blick auf das Seil und nahm meine ganze Willenskraft zusammen.
»Narr, kannst du dich an mir festhalten? Ich muss versuchen, das Seil aufzuheben.«
»Ich kann stehen«, wiederholte er sein Angebot.
»Vielleicht wirst du es müssen«, gab ich widerwillig zu. »Sei auf alles vorbereitet. Aber was auch geschieht, halte dich an mir fest.«
»Nur wenn du versprichst, das Seil festzuhalten.«
»Ich werde mein Bestes tun.«
Mein Bruder, sie haben an unserem Lagerplatz haltgemacht. Von den sechs Männern...
Nicht jetzt, Nachtauge!
Drei sind nach unten gegangen, wie du es getan hast, drei sind bei den Pferden geblieben.
Nicht jetzt!
Der Narr hob die Arme, um sich an meinen Schultern festzuhalten. Die vermaledeiten Decken, in denen er steckte, waren überall, wo ich sie nicht brauchen konnte. Ich drückte ihn an mich und brachte es irgendwie fertig, meinen rechten Arm zu befreien und gleichzeitig das Gewicht meines Gefährten damit zu stützen. Ich musste mir buchstäblich ein Lachen verkneifen, so hoffnungslos grotesk und lebensgefährlich kam mir diese ganze Situation vor. Von allen möglichen Todesarten, die ich mir für mich ausgemalt hatte - ein Szenario wie dieses hier wäre mir nicht im schlimmsten Traum eingefallen. Ich begegnete dem Blick des Narren und entdeckte darin die gleiche panikerfüllte Heiterkeit.
»Sei bereit«, sagte ich zu ihm und ging in die Hocke, um nach dem Seil zu greifen. Die angespannten Muskeln in meinem Körper schrien förmlich auf und begannen sich zu verkrampfen.
Noch eine Handbreit. Eine Handbreit Abstand zwischen meinen Fingerspitzen und dem Seil. Ich schaute in die Höhe, wo Kettricken und das Jeppa warteten. Mir kam zu Bewusstsein, dass ich gar nicht wusste, wie es weitergehen sollte, sobald ich das Seil ergriffen hatte. Zu spät, um innezuhalten und sich Gedanken zu machen. Ich beugte mich noch etwas vor, streckte die Hand aus und merkte im selben Augenblick, wie mein rechter Fuß zu gleiten begann.
Dann geschah alles gleichzeitig. Der Narr krallte sich an meinen Schultern fest, während der gesamte Berghang unter uns in Bewegung zu geraten schien. Es ging unaufhaltsam abwärts. Ich bekam das Seil zu fassen, und es gelang mir, eine Schlinge um mein Handgelenk zu werfen. Über mir trieb Kettricken das trittsichere Jeppa an. Ich sah, wie das Tier wankte, als sich unter unserem Gewicht das Seil mit einem Ruck spannte. Es stemmte sich gegen den Widerstand und ging stetig weiter. Das Seil schnitt tief in mein Fleisch, aber ich spürte den Schmerz kaum. Irgendwie brachte ich es schließlich fertig, auf die Füße zu kommen. Wie in einem Alptraum hatte ich das Gefühl, auf der Stelle zu laufen, während der Boden unter mir hinwegglitt. Das straff gespannte Seil bot mir gerade so viel Halt, dass ich mich gegen die herabprasselnde Steinlawine behaupten konnte und nicht mitgezogen wurde. Plötzlich glaubte ich, festeren Untergrund zu spüren. Meine Stiefel waren voller kleiner Steinchen, aber darauf achtete ich nicht, als ich mich halb aus eigener Kraft, halb gezogen, stetig quer zu der Halde bewegte. Wir befanden uns weit unterhalb des Pfades, auf dem ich den Wall überquert hatte, und ich wollte gar nicht wissen, wie dicht am Abgrund wir uns bewegten. Ich konzentrierte mich darauf, den Narren und das Seil festzuhalten und Fuß vor Fuß zu setzen.
Von einem Schritt zum anderen waren wir außer Gefahr. Ich hatte den Teil des Walls erreicht, der aus großen, ineinander verkeilten Blöcken bestand, ohne das lose Steingeröll, das fast unser Verderben gewesen wäre. Kettricken und das Jeppa gingen langsam weiter. Wir folgten ihnen und stiegen zur Straße hinunter. Das Seil fiel aus meiner Hand. Ich sank mitsamt dem Narren kraftlos zu Boden und schloss die Augen.
»Hier. Trink einen Schluck Wasser.« Es war Krähes Stimme, und sie reichte mir einen Wasserschlauch, während Kettricken und Merle den Narren aus meinen Armen lösten. Ich trank;
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