Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
»Ich weiß nicht, weshalb sie hier sind. Aber ich weiß, dass ich sie töten werde, bevor sie zu Veritas gelangen oder mir noch länger im Nacken sitzen.«
Merle starrte mich an. Ich glaube, erst in diesem Augenblick begriff sie, was ich war. Kein romantischer junger Prinz im Exil, der irgendwann eine große Tat vollbringen würde, sondern ein Mörder. Und dabei nicht einmal ein sonderlich kompetenter.
»Ruh dich erst noch etwas aus«, riet Kettricken. Sie schien mein Vorhaben als eine Selbstverständlichkeit zu betrachten.
Ich schüttelte den Kopf. »Wenn ich nur könnte. Doch gerade jetzt ist die Gelegenheit, die sie bieten, äußerst günstig. Ich weiß nicht, wie lange sie vorhaben, in der Stadt zu bleiben. Ich hoffe, sie lassen sich Zeit. Versteht mich recht, ich habe nicht vor, ihnen dort unten gegenüberzutreten. Ich bin kein Gegner für sie in der Gabe. Gegen ihre Gedanken kann ich mich nicht wehren, aber ich kann sie physisch vernichten. Wenn sie ihre Pferde samt Begleiter und Ausrüstung zurückgelassen haben, kann ich ihnen all diese Dinge wegnehmen, und wenn sie dann zurückkehren, sitzen sie in der Falle. Ohne Proviant, ohne ein Zelt zum Übernachten. Und ohne Wild in dieser Gegend, selbst wenn sie sich noch daran erinnern sollten, wie man überhaupt jagt. Eine Gelegenheit wie diese bietet sich nie wieder.«
Kettricken nickte zögernd. Merle sah bestürzt aus. Der Narr hatte sich wieder auf den Boden sinken lassen. »Ich sollte dich begleiten«, sagte er schwach.
Ich schaute ihn an und bemühte mich, nicht spöttisch zu klingen. »Du?«
»Ich habe so ein Gefühl... als sollte ich dich begleiten. Als ob du nicht allein gehen solltest.«
»Ich werde nicht allein sein. Nachtauge wartet auf mich.« Ich spürte kurz hinaus und fand meinen treuen Gefährten. Er kauerte ganz in der Nähe der Soldaten und Pferde versteckt im Schnee. Sie hatten ein kleines Feuer entfacht und kochten sich eine Mahlzeit. Der Geruch machte den Wolf hungrig.
Werden wir heute Abend Pferd zu essen haben?
Warten wir’s ab. Ich wandte mich an Kettricken. »Leiht Ihr mir Euren Bogen?«
Nur widerstrebend überließ sie ihn mir. »Kannst du damit umgehen?«
Es war eine edle Waffe. »Nicht gut, aber gut genug. Sie haben keine Deckung, und sie rechnen nicht damit, angegriffen zu werden. Wenn ich Glück habe, kann ich bereits einem den Garaus machen, bevor sie überhaupt etwas von meiner Anwesenheit ahnen.«
»Du willst einen Mann hinterrücks töten, ohne dich ihm vorher zu zeigen?«, fragte Merle schwach.
Die plötzliche Ernüchterung in ihren Augen traf mich härter, als ich es mir selbst eingestehen mochte. Ich wandte den Blick zur Seite und konzentrierte mich auf mein Vorhaben. Nachtauge?
Soll ich die Pferde in den Abgrund jagen oder nur den Weg zurück? Sie haben mich bereits gewittert und werden unruhig, aber die Männer achten nicht darauf.
Ich würde gerne die Vorräte haben, die sie in den Satteltaschen tragen, falls sich das machen lässt . Weshalb hatte ich mehr Skrupel, ein Pferd zu töten, als einen Menschen?
Wir werden sehen, erwiderte Nachtauge weise. Fleisch ist Fleisch, fügte er hinzu.
Ich warf mir Kettrickens Köcher über die Schulter. Der Wind hatte aufgefrischt und versprach neue Schneefälle. Bei dem Gedanken daran, nochmals die Geröllhalde zu überqueren, krampfte sich mir jedoch der Magen zusammen. »Ich habe keine andere Wahl«, sagte ich laut zu mir selbst und sah, wie Merle sich von mir abwandte. Offenbar hatte sie meine Bemerkung als Antwort auf ihre Frage aufgefasst. »Wenn ich versage, werden sie euch weiter verfolgen«, warnte ich meine Gefährten. »Brecht sofort auf und macht erst Halt, wenn es zu dunkel ist, um weiterzugehen. Wenn alles nach Plan verläuft, werden wir euch schon einholen.« Ich ging neben dem Narren in die Hocke. »Fühlst du dich stark genug, um zu marschieren?«, fragte ich.
»Ein Stück weit«, antwortete er stumpfsinnig.
»Wenn es sein muss, werde ich ihn tragen.« Kettricken sagte es mit ruhiger Selbstsicherheit. Ich schaute die hochgewachsene Frau an und glaubte ihr. Ich nickte kurz.
»Wünscht mir viel Glück«, sagte ich und wandte mich zum Gehen.
»Ich komme mit«, verkündete Krähe auf einmal. Sie hatte ihre Stiefel neu geschnürt und stand auf. »Gib mir den Bogen. Und auf dem Wall halte dich hinter mir.«
Einen Augenblick war ich sprachlos. »Warum?«, fragte ich schließlich.
»Weil ich weiß, was ich da oben tue. Und ich bin mehr als ›gut genug‹
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