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Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier

Titel: Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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wusste es nicht. Ich war unterwegs nach Burg Fierant, um Edel zu töten. Würde ein Feigling das tun? Vielleicht, flüsterte mir meine verräterische innere Stimme zu, vielleicht würde ein Feigling das tun, falls es leichter war, als sich auf die Suche nach seinem König zu machen.
    Ich verbannte diesen Gedanken aus meinem Kopf, doch er war hartnäckig. Wenn ich Edel tötete, erfüllte ich eine vornehme Pflicht oder tat ich nur das, was ich tun wollte? Und war es wichtig, sich darüber Rechenschaft abzulegen? Ja, denn vielleicht sollte ich mich stattdessen auf die Suche nach Veritas machen.
    Aber all das waren unsinnige Gedankengänge, solange ich nicht wusste, ob Veritas noch lebte.
    Um es herauszufinden, musste ich mit der Gabe in die Ferne und zu Veritas denken. Doch ich war bisher nie in der Lage gewesen, verlässlich weitzudenken, dafür hatte Galen gesorgt, als er mit seinen perfiden Quälereien mein starkes natürliches Talent für die Gabe verstümmelte und mir nur unzuverlässige und vage Bruchstücke davon übrigließ. Ließ sich daran noch etwas ändern? Ich musste im Vollbesitz der Gabe sein, wenn ich mit meinem Vorhaben, Edel zu ermorden, nicht an seinem Zirkel scheitern wollte. Ich musste lernen, sie mir dienstbar zu machen. War die Gabe eine Fähigkeit, die zu beherrschen man sich selbst beibringen konnte? Wie konnte man etwas lernen, von dem man nur die Anfangsgründe kannte? Alles an Potenzial, an Theorie und Praxis, das Galen weder in mich hinein-, noch aus mir hinausprügeln konnte, das Wissen, das Veritas nie Zeit gehabt hatte, mich zu lehren: Wie sollte ich das ohne Hilfe in mir finden? Unmöglich.
    An Veritas zu denken war mir unangenehm. Das war ein untrüglicher Hinweis für mich, dass ich es tun sollte. Veritas, mein Prinz, nun mein König. Verbunden durch das Blut und die Gabe, kannte ich ihn so genau wie keinen anderen Menschen. Offen für die Gabe sein, hatte er mir eingeprägt, war nichts anderes, als sich nicht gegen sie verschließen. Sein mittels der Gabe geführter Krieg gegen die Korsaren hatte sein ganzes Leben bestimmt und mit der Zeit seine ganze Jugend und Kraft aufgezehrt. Er hatte nie die Muße gefunden, mir beizubringen, mein Talent zu kontrollieren, doch wann immer sich die Gelegenheit bot, hatte er mich nach bestem Wissen und Gewissen unterrichtet. Sein Gabenpotenzial war so groß, dass er sich in meinem Bewusstsein festsetzen und mich für mehrere Tage, sogar Wochen, begleiten konnte. Und einmal, als ich auf dem Stuhl meines Prinzen in seinem Arbeitszimmer und vor seinem Schreibtisch gesessen hatte, war es mir gelungen, meine Sinne auf ihn auszurichten. Vor mir hatten die Utensilien seiner kartographischen Arbeit gelegen und all die persönlichen Dinge eines Mannes, der darauf wartete, den Thron zu besteigen. Damals waren meine Gedanken zu ihm gewandert. Ich hatte mir gewünscht, er käme heim, um sein Königreich zu schützen, und hatte einfach zu ihm hinausgegriffen. Spontan, ohne bewusste Vorbereitung oder Absicht. Ich versuchte also, mich wieder in eine solche Stimmung zu versetzen. Hier fehlten Veritas’ Besitztümer, aber wenn ich die Augen schloss, konnte ich meinen Prinzen vor mir sehen. Ich holte tief Atem und bemühte mich, vor meinem inneren Auge sein Bild wachwerden zu lassen.
    Veritas war breiter gebaut als ich, aber nicht ganz so groß. Wir hatten beide die dunklen Augen und das schwarze Haar der Familie Weitseher, aber seine Augen lagen tiefer als meine, Haare und Bart zeigten bei ihm bereits erste Spuren von Grau. Aus meiner Kindheit hatte ich ihn als imponierende Erscheinung in Erinnerung, ein stämmiger Mann, dem das Schwert ebenso gut in der Hand lag wie die Feder. Die zurückliegenden Jahre hatten ihn verändert. Zu körperlicher Untätigkeit verurteilt, hatte er in seinem Turmzimmer gesessen und seine gesamte Gabenkraft aufgeboten, um unsere Küste gegen die Korsaren zu verteidigen. Doch in dem Maß, wie seine Muskeln schwanden, wuchs die Aura seiner Gabenkraft, bis man den Eindruck hatte, als stünde man vor einem Glutofen. In seiner Gegenwart war ich mir seiner Gabe deshalb bewusster als seines Körpers. Die Gerüche, die ich mit ihm in Zusammenhang brachte, waren die der verschiedenfarbigen Tinten, des Pergamentstaubs und des Aromas von Elfenrinde in seinem Atem. »Veritas«, sagte ich leise vor mich hin und fühlte das Wort in mir widerhallen, weil sie förmlich von den Mauern in meinem Kopf zurückgeworfen wurden.
    Ich öffnete die Augen. Wie

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