Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
entgegenschlug. Nachtauge hatte Recht gehabt; der Aufenthalt in einem geschlossenen Raum hatte meinen Geruchssinn abgestumpft. Ich konnte kaum glauben, dass ich es da drin ausgehalten hatte. Nur ungern ging ich hinein und schnaubte gegen die Menschengerüche an. Vor ein paar Nächten hatte es geregnet, durch die Feuchtigkeit war ein Teil von meinem getrockneten Fleisch verdorben. Ich sortierte die schlechten Stücke aus und bemerkte angeekelt, dass sich in einigen bereits Maden eingenistet hatten. Während ich den Rest meiner Fleischvorräte untersuchte, wehrte ich mich gegen ein immer stärker werdendes Gefühl des Unbehagens. Erst als ich das Messer hervorholte und eine dünne Schicht Rost von der Klinge entfernen musste, hatte ich die Wahrheit vor Augen.
Ich war seit Tagen nicht mehr hier gewesen.
Womöglich schon seit Wochen nicht.
Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Ich betrachtete das verdorbene Fleisch und den Staub auf meinen Habseligkeiten. Ich tastete nach meinem Bart und bemerkte erschrocken, wie lang er geworden war. Dass Burrich und Chade mich hier allein gelassen hatten, war nicht erst Tage her, sondern einige Wochen. Ich ging zur Tür der Hütte und schaute hinaus. Dort wo Trampelpfade zum Bach hinunter und zu Burrichs bevorzugtem Angelplatz geführt hatten, stand das Gras nun hoch. Die Frühlingsblumen waren längst verschwunden, die Beeren hingen bereits grün an den Büschen. Ich blickte auf meine Hände, auf den tief eingegrabenen Schmutz an meinen Handgelenken, das getrocknete Blut unter meinen Fingernägeln. Früher hätte mir der Gedanke, rohes Fleisch zu essen, Übelkeit bereitet, heute erschien mir die Vorstellung, Fleisch zu kochen, befremdlich und absurd. Meine Gedanken drifteten immer wieder ab, und ich brachte es nicht über mich, den Tatsachen ins Auge zu blicken. »Später«, die Gedanken schwirrten aufgeregt durch meinen Kopf, »morgen, später, Nachtauge...«
Du bist beunruhigt, kleiner Bruder?
Ja. Ich zwang mich hinzuzufügen: Du kannst mir nicht helfen. Es ist Menschensache, etwas, womit ich allein fertigwerden muss.
Sei lieber ein Wolf, riet er mir selbstgefällig.
Ich hatte weder die Kraft, dazu Ja noch Nein zu sagen. Stattdessen ließ ich es auf sich beruhen. Verstört blickte ich an mir herunter und sah auf meine schmutzige Kleidung. Alles war steif vor Dreck und altem Blut, und meine Hose hing unterhalb der Knie in Fetzen. Schaudernd erinnerte ich mich an die Entfremdeten und ihre verlotterten Lumpen. Was war aus mir geworden? Ich zerrte meinen Hemdausschnitt nach vorn und wandte vor meinem eigenen Geruch das Gesicht zur Seite. Wölfe hatten mehr Sinn für Sauberkeit. Nachtauge betrieb täglich Körperpflege.
Ich sprach es laut aus, und die Heiserkeit meiner des Sprechens entwöhnten Stimme verlieh den Worten zusätzliches Gewicht. »Nach Burrichs Weggang bin ich tiefer gesunken als ein Tier. Alles vergessen - Zeitgefühl, Sauberkeit, Pläne, kein Gedanke an etwas anderes als Essen und Trinken. Davor hat er mich all die Jahre zu warnen versucht. Es ist genau so gekommen, wie er immer befürchtet hat.«
Ungeschickt entzündete ich ein Feuer. Ich ging mehrmals zwischen Bach und Hütte hin und her und machte so viel Wasser heiß wie möglich. Die Schafhirten hatten einen schweren Topf zum Auslassen von Fett dagelassen; sein Fassungsvermögen reichte aus, um einen hölzernen Trog draußen vor der Hütte halb zu füllen. Während das Wasser heiß wurde, sammelte ich Seifenkraut und Schachtelhalmgras. Ich konnte mich nicht entsinnen, je so schmutzig gewesen zu sein. Das raue Zinnkraut scheuerte mit dem Schmutz mehrere Schichten Haut herunter, bevor ich mich endlich sauber fühlte. Im trüben Wasser schwammen mehr als nur ein paar Flöhe. Am Hals entdeckte ich eine Zecke, die ich mit einem glühenden Zweig ausbrannte. Das gewaschene Haar kämmte ich glatt und band es wieder im Nacken zusammen. Zu guter Letzt rasierte ich mich vor dem Spiegel, den Burrich zurückgelassen hatte und musterte dann das Gesicht, das mir aus dem Glas entgegensah. Die obere Hälfte war braungebrannt, die untere war weiß.
Nachdem ich noch mehr Wasser heiß gemacht hatte und über den Trog gebückt meine Kleider einweichte und durchwalkte, begann ich Burrichs Sauberkeitsfimmel zu begreifen. Die einzige Möglichkeit, von meiner Hose noch etwas zu retten, bestand darin, sie unter dem Knie umzusäumen, doch selbst dann war ihre Lebensdauer absehbar. Weil ich schon einmal dabei war,
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