Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
kam der Tag, an dem ich wusste, dass meine Ausrüstung so vollständig wie nur möglich war und dass ich bald aufbrechen sollte, um den Sommer als Reisezeit zu nutzen. Ich war zwar begierig darauf, endlich Rache zu nehmen, und konnte mich doch nicht entschließen, die Hütte und mein friedvolles Dasein zu verlassen. Zum ersten Mal seit ich denken konnte, wachte ich auf, wenn ich ausgeschlafen hatte, und aß, wenn ich hungrig war. Ich hatte keine Pflichten, außer denen, die ich mir selbst auferlegte. Bestimmt konnte es nicht schaden, wenn ich mir etwas Zeit nahm, um wieder ganz zu Kräften zu kommen. Obwohl die Blessuren meiner Kerkerhaft längst verblasst und als einzige sichtbare Spuren Narben zurückgeblieben waren, kam es vor, dass ich mich morgens beim Aufstehen steif und hölzern fühlte wie ein alter Mann. Manchmal erschreckte mein Körper mich mit einem plötzlichen, stechenden Schmerz, so wenn ich zum Beispiel einen Satz machte oder zu schnell den Kopf drehte. War die Jagd besonders anstrengend gewesen, überkam mich ein Zittern, wie die Vorstufe zu einem der früheren schweren Anfälle. Es war also klüger, beschloss ich, erst aufzubrechen, wenn ich mich völlig erholt hatte.
Also blieben wir noch und ließen die Zeit verstreichen. Die Tage waren mild, die Jagd war gut, und allmählich schloss ich Frieden mit meinem Körper. Ich war nicht mehr der abgehärtete Kämpfer von früher, doch ich konnte bei der nächtlichen Jagd mit meinem Wolfsbruder Schritt halten. Wenn ich jagte, waren meine Bewegungen geschmeidig und sicher. Mein Körper genas, und die Schmerzen der Vergangenheit hörten auf, mich heimzusuchen, wenn sie mir auch als dunkler Schatten in meiner Erinnerung erhalten blieben. Die Alpträume, die mich gequält hatten, verloren sich wie die letzten Reste von Nachtauges Winterfell. Nie zuvor hatte ich ein Leben gekannt, das so einfach war. Ich hatte endlich zu mir selbst gefunden.
Doch kein Friede währt ewig. Ein Traum beendete die Idylle. Nachtauge und ich erhoben uns vor Tagesanbruch, gingen auf die Jagd und töteten ein paar fette Kaninchen. Der Hang, in dem sie lebten, war unterhöhlt von ihren Gängen, und aus der schieren Notwendigkeit, uns die Bäuche zu füllen, wurde schnell ein übermütiges Fangspiel. Erst als die Sonne bereits hoch am Himmel stand, ließen wir davon ab, warfen uns in den flimmernden Schatten einiger Birken, labten uns noch einmal an unserer Beute und dösten ein. Irgendetwas, vielleicht das unstete Sonnenlicht auf meinen Lidern, gab mir einen Traum ein.
Ich war wieder in Bocksburg. In der alten Wachstube lag ich auf dem kalten Steinboden, umringt von Männern mit unbarmherzigen Augen. Die Granitplatten unter meiner Wange waren klebrig von geronnenem Blut. Während ich mit offenem Mund keuchend nach Atem rang, erfüllten sein Geruch und Geschmack all meine Sinne. Sie kamen heran, um das begonnene Werk fortzusetzen, nicht allein der Mann mit den lederbehandschuhten Fäusten, sondern auch Will, der in seiner Körperlosigkeit und Unsichtbarkeit unauffällig durch meine Barrieren schlüpfte, um sich in mein Bewusstsein zu schleichen. »Nicht, bitte nicht«, flehte ich. »Hört auf, bitte. Ihr habt keinen Grund, mich zu fürchten oder zu hassen. Ich bin nur ein Wolf. Nur ein Wolf, keine Bedrohung für euch. Ihr habt nichts zu befürchten. Lasst mich gehen. Ich tue euch nichts, ich bin keine Gefahr. Ich bin nur ein Wolf.« Ich reckte den Kopf zum Himmel und heulte.
Davon erwachte ich.
Ich rollte herum, erhob mich auf alle viere, schüttelte mich und stand auf. Ein Traum, sagte ich mir. Nur ein Traum. Doch auf unerklärliche Weise fühlte ich mich von Furcht und Scham besudelt. In diesem Traum hatte ich um Gnade gewinselt, was in Wirklichkeit nicht der Fall gewesen war. Ich war kein Feigling. Oder? Mir war dabei, als könnte ich noch immer das Blut riechen und schmecken.
Wohin gehst du?, fragte Nachtauge träge. Er lag im tieferen Schatten und war dank seines Fells erstaunlich gut getarnt.
Wasser.
Ich ging zum Bach, spülte mir das getrocknete Kaninchenblut von Gesicht und Händen und trank durstig. Anschließend wusch ich mir das Gesicht gründlich und strich mir mit den Fingernägeln das Blut aus meinem Bart. Plötzlich war mir das Gestrüpp an meinem Kinn zuwider. Ich hatte ohnehin nicht vor, irgendwohin zu gehen, wo man mich kannte. Kurzentschlossen ging ich zur Hütte zurück, um mich zu rasieren.
An der Tür rümpfte ich die Nase über die schlechte Luft, die mir
Weitere Kostenlose Bücher