Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
manchen waren sie als drachenähnliche Geschöpfe dargestellt, aber...
»Nein. Die Uralten sind Drachen. Diese gemeißelten Kreaturen im Garten der Steine - das sind die Uralten. König Weise war zu seiner Zeit imstande, sie zu erwecken und als Verbündete zu gewinnen. Für ihn wurden sie lebendig. Nun aber schlafen sie zu tief, oder sie sind gar tot. Veritas hat ebenfalls versucht, sie auf jede nur erdenkliche Art zu erwecken, was ihn viel Kraft kostete. Als es ihm jedoch nicht gelang, beschloss er, seinen eigenen Uralten zu erschaffen und mit ihm die Roten Korsaren zu bekämpfen.«
In meinem Kopf herrschte ein großes Durcheinander. Ich dachte an die Alte Macht, die der Wolf und ich in den Skulpturen gespürt hatten, an das Mädchen auf dem Drachen hier in diesem Steinbruch. Ihr gequältes Gesicht! Es war dann offenbar lebendiger Stein, und die Drachenreiterin war auf ewig im Stein gefangen und an die Erde gebunden. Wieder fröstelte mir. Das war nur eine andere Art von Kerker.
»Wie soll das möglich sein?«
Der Narr schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass Veritas es weiß. Er tastet sich auf gut Glück voran, formt den Stein, gibt ihm seine Erinnerungen. Und wenn das Werk vollendet ist, wird der Drache zum Leben erwachen. So soll es wohl sein, nehme ich an.«
»Ist dir überhaupt bewusst, was du da sagst?«, fragte ich ihn. »Stein soll sich in die Lüfte erheben und die Sechs Provinzen gegen die Roten Korsaren verteidigen? Und was ist mit Edels Truppen und den Grenzgefechten mit dem Bergreich? Wird dieser ›Drache‹ auch dem ein Ende machen?« Ich war plötzlich von wildem Zorn überwältigt. »Dafür sollen wir diesen weiten Weg zurückgelegt haben? Für ein Märchen, das nicht einmal ein Kind glauben würde.«
Der Narr hob leicht gekränkt die Augenbrauen. »Glaub’s oder glaub’s nicht, das liegt ganz bei dir. Ich weiß nur, dass Veritas daran glaubt, und wenn ich mich nicht ganz täusche, dann Krähe ebenfalls. Weshalb sonst würde sie wohl darauf bestehen, dass wir hierbleiben und Veritas helfen, den Drachen zu vollenden?«
Das gab mir zu denken, und so fragte ich den Narren: »Dein Traum von Realders Drachen... - Woran kannst du dich noch erinnern?«
Er zuckte hilflos die Schultern. »Hauptsächlich an das, was ich gefühlt habe. Ich war heiter und vergnügt, denn ich sollte nicht nur Realders Drachen verkünden, sondern ich sollte sogar mit ihm fliegen dürfen. Ich war ein wenig verliebt in ihn, musst du wissen. Auf diese federleichte Art, wenn einem das Herz höher schlägt. Aber...« Er zögerte mit seinen Worten. »Ich kann mich nicht erinnern, ob es Realder war, den ich liebte, oder der Drache. In meinem Traum verschmolzen sie... Ach, sich Träume ins Gedächtnis rufen ist fast unmöglich. Man muss sie packen, sobald man aufwacht, und sofort noch einmal vor dem inneren Auge vorbeiziehen lassen, damit die Einzelheiten nicht verlorengehen. Sonst verblassen sie so schnell.«
»Aber in diesem Traum hast du einen steinernen Drachen fliegen sehen?«
»Ich habe nur das Erscheinen des Drachen verkündet, und ich wusste, dass ich auf seinem Rücken fliegen würde. Gesehen hatte ich ihn noch nicht.«
»Dann besteht möglicherweise überhaupt kein Zusammenhang mit dem, was Veritas tut. Vielleicht hat es in der Zeit, aus der dein Traum kam, wirkliche Drachen gegeben. Aus Fleisch und Blut.«
Der Narr beäugte mich neugierig. »Du glaubst nicht, dass es heute noch wirkliche Drachen gibt?«
»Ich habe nie einen gesehen.«
»Und in der Ruinenstadt?«
»Das war eine Vision aus einer anderen Zeit. Du hast vom Heute gesprochen.«
Der Narr hielt eine schmale, blasse Hand in den Feuerschein. »Ich glaube, mit ihnen verhält es sich wie mit meinesgleichen. Sie und wir sind selten, aber nicht nur Geschöpfe aus der Mythologie. Außerdem, gäbe es keine Drachen aus Fleisch und Blut und Feuer, woher käme dann jemand auf die Idee, Bildnisse von ihnen anzufertigen?«
Ich schüttelte müde den Kopf. »Diese Unterhaltung bewegt sich im Kreis. Rätsel und Vermutungen und nie etwas Greifbares. Ich will wissen, ob es einen Zweck gehabt hat, diese weite Reise zu unternehmen und was man von uns erwartet, das wir tun sollen.«
Diese Fragen konnte mir der Narr auch nicht beantworten. Als Krähe und Merle mit dem Brennholz zurückkehrten, half er mir, das Feuer auszubreiten und das Fleisch so anzubringen, dass in der Hitze das Fett ausbriet. Was zu viel war, legten wir in die
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