Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
anfassen.«
Ehe ich begriff, was ich tat, stand ich schon oben auf dem Sockel, nahm Kettricken bei den Schultern und zog sie auf die Beine. »Er würde es tun, wenn er könnte«, beteuerte ich. »Glaubt mir, ich weiß es. Er würde es tun, wenn er könnte.«
Sie hob die Hände vors Gesicht und brach in Schluchzen aus. »Du und deine Gabe. Und dann er. Du sprichst so leichthin davon, dass du weißt, was er fühlt. Von seiner Liebe. Aber ich... ich besitze diese Gabe nicht. Ich bin nur... Ich muss es spüren, Fitz. Ich muss seine Wärme spüren, seine Nähe. Ich muss glauben, dass er mich liebt, wie ich ihn liebe, und obwohl ich ihn enttäuscht habe. Wie kann ich es glauben... wenn er sich weigert, auch nur...«
Ich legte die Arme um Kettricken und zog sie an meine Brust, während Nachtauge sich an uns beide drückte und leise winselte.
»Er liebt Euch«, sagte ich zu ihr. »Wirklich. Aber das Schicksal hat euch beiden diese Bürde auferlegt. Es ist euer Los, sie zu tragen.«
»OPFER«, hauchte sie, und ich wusste nicht, ob sie den Namen ihres Kindes genannt oder ihr Leben beschrieben hatte. Sie weinte, und ich hielt sie weiter fest, streichelte ihr Haar und sagte ihr, es würde besser werden, bestimmt würde es besser werden. Wenn erst Frieden herrschte, würde ihr gemeinsames Leben von neuem beginnen, und sie würden Kinder haben, die sorglos und in Sicherheit aufwachsen konnten, und das ohne die Bedrohung durch Edel und die Roten Korsaren. Nach einer Weile spürte ich, wie sie ruhiger wurde und merkte, dass weniger meine Worte sie getröstet hatten als der Strom der Alten Macht. Was ich für sie empfand, hatte sich mit den Gefühlen des Wolfs vermischt. Es hüllte uns alle, sanfter als die Gabe, in eine warme und natürliche Gemeinsamkeit ein. Kettricken war in meinem Herzen wie in meinen Armen, und Nachtauge drückte sich an sie und sagte ihr, er werde sie beschützen und seine Beute mit ihr teilen; sie bräuchte nichts und niemanden zu fürchten, denn wir wären ein Rudel - Rudelgefährten für immer.
Kettricken war es schließlich, die sich aus der Umarmung löste. Mit einem letzten stockenden Seufzer trat sie zurück, hob die Hand und wischte sich über die Wangen. »O Fitz«, sagte sie nur unendlich traurig. Ich stand da und spürte die kalte Verlassenheit, wo eben noch die Wärme menschlicher Nähe und Zuneigung gewesen waren. Ein Gefühl des Verlustes durchfuhr mich wie ein scharfer Schmerz, und dann wurde mir kalt, als ich den Ursprung dieses Gefühls erkannte. Das Mädchen auf dem Drachen hatte unsere Umarmung geteilt und war durch uns für einen flüchtigen Augenblick in ihrer Einsamkeit getröstet worden. Als wir uns jetzt trennten, erhob sich aufs Neue das ferne, unendlich traurige Klagen des Steins, lauter und deutlicher als zuvor. Ich wollte leichtfüßig von dem Sockel hinunterspringen, doch als ich unten aufkam, knickte ich ein und wäre fast gestürzt. Auf irgendeine Art hatte diese Vereinigung mir Kraft entzogen. Es war beunruhigend, aber ich ließ mir mein Unbehagen nicht anmerken, während ich Kettricken schweigend zurück zum Lager begleitete.
Ich kam gerade zur rechten Zeit, um Krähe abzulösen. Sie und Kettricken gingen in die Jurte, nachdem sie versprochen hatten, mir den Narren hinauszuschicken. Der Wolf warf mir nur noch kurz einen entschuldigenden Blick zu und folgte Kettricken in die Jurte. Ich versicherte ihm, das sei ganz in meinem Sinne. Wenig später kam der Narr zum Vorschein. Er rieb sich mit der linken Hand den Schlaf aus den Augen; die rechte trug er leicht angewinkelt an der Brust. Er hockte sich mir gegenüber auf einen Stein, während ich die Fleischstücke prüfte, um zu sehen, welche gewendet werden mussten. Eine Weile schaute er mir schweigend zu, dann beugte er sich vor und hob mit der rechten Hand ein Stück Feuerholz auf. Ich hätte ihn davon abhalten sollen, doch meine Neugier war zu groß.
»So einfach, still und wunderschön«, bemerkte er. »Mehr als vierzig Jahre des Wachsens, im Winter wie im Sommer, im Sturm wie im Sonnenschein. Und davor geborgen in einer Nuss an einem anderen Baum. Und so setzt sich die Kette fort in die Vergangenheit, weiter und weiter zurück. Ich glaube nicht, dass ich von natürlichen Dingen viel zu befürchten habe, nur von solchen, die von Menschenhand geschaffen wurden. Sie schlagen zu mannigfaltig aus. Aber Bäume, glaube ich, werden angenehm zu berühren sein.«
»Krähe hat gesagt, du sollst nichts anfassen, das lebt«,
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