Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
sondern um dich zu warnen. Ich habe seinen Hass auf dich in mir gespürt. In der Nacht, als sie mich in ihrer Gewalt hatten...« Er schluckte, und seine Augen blickten ins Leere. »Ich habe mich bemüht, es zu vergessen. Und immer wenn ich an diese Erinnerungen rühre, dann brennen sie in mir wie ein Gift, das immer tiefer in mich dringt. Ich habe Edels innerstes Wesen in mir gespürt. Sein Hass auf dich windet sich in ihm wie Maden in verfaultem Fleisch.« Er schüttelte sich vor Ekel. »Der Mann ist wahnsinnig. Er schreibt dir jeden verbrecherischen Ehrgeiz zu, den sein krankes Hirn auszubrüten vermag. Deine Alte Macht betrachtet er mit Abscheu und Grauen. Er kann sich nicht vorstellen, dass du bei allem, was du tust, nur die Absicht hast, Veritas zu helfen. In seiner verdrehten Vorstellung hast du, seit du nach Bocksburg gekommen bist, nichts anderes im Sinn gehabt, als ihm zu schaden. Er glaubt, dass ihr, du und Veritas, in den Bergen nicht etwa nach den Uralten sucht, um das Herzogtum Bock zu retten, sondern dass ihr auf der Suche seid nach der ursprünglichen Kraft der Gabe oder einer anderen geheimen Macht, um ihn zu vernichten. Er denkt, er habe gar keine andere Wahl, als euch zuvorzukommen, genau das zu finden, was immer es sein mag, wonach ihr sucht, und es dann gegen euch einzusetzen. Dafür bietet er all seine Entschlossenheit und all seine Kräfte auf.«
Ich lauschte dem Narren in starrem Entsetzen. Seine Augen besaßen den glasigen Blick eines Mannes, der sich an Folterqualen erinnert. »Warum hast du nicht schon früher mit mir darüber gesprochen?«, fragte ich behutsam, als er kurz innehielt, um Atem zu holen.
Er schaute an mir vorbei. »Ich denke nicht gerne daran.« Ein Frösteln packte ihn. »Sie hausten in meinem Bewusstsein wie böse, niederträchtige Kinder. Sie zerschlugen, was sie nicht begreifen oder nicht gebrauchen konnten. Ich war ihnen schutzlos ausgeliefert. Doch sie hatten gar kein Interesse an mir. Ich galt ihnen weniger als ein Hund. Sie entbrannten buchstäblich in Zorn, als sie herausfanden, dass ich nicht du war. Fast hätten sie mich in ihrer wütenden Enttäuschung ausgelöscht. Dann überlegten sie jedoch, wie sie mich als Werkzeug gebrauchen könnten.« Er hustete. »Wäre dieser Gabensturm nicht gekommen...«
Ich hatte das eigenartige Gefühl, eine von Chades Lektionen nachzusprechen, als ich sagte: »Ich werde sie mit ihren eigenen Waffen schlagen. Sie können dich nicht so vollkommen in ihre Gewalt gebracht haben, ohne nicht gleichzeitig viel von sich selbst preiszugeben. Ich bitte dich, denk zurück und berichte mir alles, woran du dich erinnern kannst.«
»Du würdest mich nicht darum bitten, wenn du wüsstest, was du damit verlangst.«
Ich hätte ihm nun ausführlich erklären können, dass dies kaum einer besser wusste als ich, aber das stand jetzt nicht zur Debatte. Er sollte in Ruhe überlegen und sich entscheiden können. Der Morgen dämmerte, und ich war gerade von einem Rundgang um unser Lager zurückgekehrt, als er seine Gedanken fortsetzte.
»Da waren Gabenbücher, von denen niemand etwas wusste. Bücher und Schriftrollen, die Galen aus Solizitas’ Gemächern mitgehen ließ, als sie im Sterben lag. Das Wissen, das sie enthielten, war ausschließlich für einen Meister der Gabe bestimmt, und einige bewahrten ihre Geheimnisse sogar mit raffinierten Schlössern vor der Außenwelt. Galen hatte allerdings viele Jahre Zeit, diese Schlösser zu knacken. Ein Schloss ist nur für den ehrlichen Mann ein Hindernis, musst du wissen. Galen fand in diesen Aufzeichnungen vieles, was er nicht verstand, doch es gab darin auch Listen mit den Namen derer, die in der Gabe unterwiesen worden waren. Galen suchte alle Gabenkundigen auf, die er finden konnte und fragte sie aus. Dann räumte er sie aus dem Weg, damit nicht andere ihnen die gleichen Fragen stellen konnten wie er. Davon abgesehen fand Galen noch manches andere in den Schriften. So zum Beispiel wie man lange und bei guter Gesundheit leben kann. Oder wie man mit der Gabe anderen Schmerzen zufügt, ohne seine Opfer auch nur zu berühren. Doch in der ältesten Schriftrolle entdeckte er dann Hinweise auf eine geheimnisvolle Macht, die in den Bergen auf einen Kundigen wartet, der stark genug in der Gabe ist, sich diese zu Eigen zu machen. Wenn es Edel gelingen würde, sich die Herrschaft über das Bergreich zu erschleichen, könnte er sich in den Besitz dieser Macht bringen und unüberwindlich sein. Und genau und nur um
Weitere Kostenlose Bücher