Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
das zu erreichen, warb er für Veritas um Kettricken, wobei es keineswegs in seiner Absicht lag, dass diese Verbindung je zustande kommen sollte. Vielmehr wollte er nach dem plötzlichen Ableben seines Bruders an dessen Stelle treten und sich ihr, der Thronfolgerin des Bergreichs, anvermählen.«
»Ich verstehe nicht«, sagte ich. »Die Berge sind reich an Bernstein und Pelzen und...«
»Nein, nein.« Der Narr schüttelte den Kopf. »Damit hatte es überhaupt nichts zu tun. Galen war nicht dumm genug, Edel alles, was er wusste, auf die Nase zu binden, denn dann hätte er ihn nicht mehr lenken können. Aber du kannst sicher sein, nach Galens Tod hat Edel sich sofort die Schriftrollen und Bücher angeeignet und sich darangemacht, sie zu studieren. Er ist kein Meister der älteren Sprachen, und er hat es nicht gewagt, andere um Rat zu fragen, damit sie nicht das Geheimnis vor ihm entdeckten; doch zu guter Letzt hatte er die Schriftrollen enträtselt, und nachdem er dies geschafft hatte, war er heillos entsetzt. Denn mittlerweile hatte er fleißig daran gearbeitet, Veritas auf Nimmerwiedersehen in die Berge zu entsenden, wie er hoffte. Er fand heraus, dass die Macht, zu der Galen ihm hatte verhelfen wollen, die Macht über die Uralten war. Sofort argwöhnte er, dass Veritas sich mit dir verschworen hätte, um sich in den Besitz dieser Macht zu bringen. Und wie konnte dieser es nur wagen, den Schatz stehlen zu wollen, der ganz allein ihm, Edel, zustand! Wie konnte er es wagen, ihn, Edel, zum Narren zu machen!« Dazu zeigte der Narr nur ein schwaches Lächeln. »In Edels Vorstellung ist die Macht über die Uralten sein angestammtes Geburtsrecht, und ihr versucht, es ihm zu rauben. Er glaubt, er verteidigt Recht und Gerechtigkeit, wenn er alles daransetzt, euch zu töten.«
Ich nickte vor mich hin. Das klang alles sehr stimmig. Jeder Mosaikstein war an seinem Platz, und ich stand vor einem erschreckenden Szenario. Ich hatte gewusst, dass Edel krankhaft ehrgeizig war. Ich hatte gewusst, dass er davon besessen war, alles und jeden unter seine Kontrolle zu bringen. Ich war eine doppelte Gefahr für ihn gewesen, ein Rivale um die Liebe seines Vaters und im Besitz dieser unheimlichen Alten Macht, die er weder verstehen noch vernichten konnte. Für Edel war jeder andere Mensch auf der Welt entweder ein Werkzeug oder eine Bedrohung. Wobei er dazu neigte, alle Bedrohungen möglichst gleich zu beseitigen.
Wahrscheinlich war ihm nie in den Sinn gekommen, dass ich von ihm nichts anderes wollte, als in Ruhe gelassen zu werden.
KAPITEL 35
KRÄHES GEHEIMNIS
N irgends findet sich ein Hinweis darauf, wer die Zeugensteine aufrichtete, die sich auf einem Hügel in der Nähe von Bocksburg erheben. Wer sie betrachtet, gewinnt schnell den Eindruck, dass sie dort bereits gestanden hatten, bevor jemand an die Gründung der Burg dachte. Ihre angeblichen Kräfte haben wenig mit Eda und El zu tun, aber die Menschen der Umgebung glauben dennoch mit einer unbeirrbaren religiösen Überzeugung an ihre Macht. Auch solche, die an keine Götter glauben, würden doch darin zögern, vor den Zeugensteinen einen falschen Eid zu schwören. Schwarz und verwittert ragen die pfeilerartigen Steine empor. Und falls sie je eine Inschrift irgendwelcher Art getragen haben, wurde sie längst von Wind und Wetter ausgelöscht.
Veritas war der Erste, der an diesem Morgen erwachte. Kaum dass die Welt im ersten Tageslicht wieder in all ihren Farben erstrahlte, taumelte er aus dem Zelt. »Mein Drache!«, rief er und blinzelte schlaftrunken. »Mein Drache!« Als könnte dieser ohne ihn davongeflogen sein.
Auch nachdem ich Veritas versichert hatte, seinem Drachen wäre nichts zugestoßen, führte er sich auf wie ein verzogenes Kind. Er wollte augenblicklich wieder an die Arbeit gehen. Nur mit größter Mühe konnte ich ihn dazu überreden, einen Becher Tee zu trinken und ein Stück von dem gesottenen Fleisch zu essen. Auf den Haferbrei wollte er nicht warten; stattdessen machte er sich auf den Weg zu seinem Drachen, wobei er das Fleisch in der einen, das Schwert in der anderen Hand hielt. Über Kettricken verlor er kein Wort. Wenig später ertönte im Lager wieder das Scharren von Metall auf Stein. Der Schatten des früheren Veritas, den ich am Abend zuvor noch gesehen hatte, war im Licht des Morgens wieder verschwunden.
Es mutete merkwürdig an, einen neuen Tag zu beginnen, ohne sofort darauf das Zelt abzubauen und die Jeppas zu beladen. Alle waren gedrückter
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