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Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier

Titel: Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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sie erwecken.« Langsam ging ich um Realders Drachen herum und versuchte, mir darüber klarzuwerden, wo und wie ich anfangen sollte. Von dem keilförmigen Echsenschädel bis zu dem dornenbewehrten Schweif entsprach diese Skulptur in jeder Hinsicht den Schilderungen von Drachen in Sagen und Märchen. Bewundernd ließ ich die Hand über die glänzenden Schuppen gleiten. Ich spürte, wie die Alte Macht sich wie mit einem Hauch durch den Stein bewegte. Gleich fiel es mir schon weniger schwer zu glauben, dass er einst lebendig gewesen war und dass vielleicht noch ein Funke Leben in ihm schlummerte, der neu entfacht werden konnte. Konnte denn irgendein Künstler, wie groß und bedeutend er auch sein mochte, jemals in der Lage sein, eine Skulptur von solcher Perfektion zu erschaffen? Am Gelenk seiner Schwingen befand sich ein Knochenauswuchs, ähnlich wie bei einem Gänserich. Ich hatte keinen Zweifel, dass er damit einen Menschen problemlos niederschlagen konnte. Die Dornen an seinem Schweif waren noch immer scharf und gefährlich. Man konnte sich gut vorstellen, wie er damit Masten knickte oder Ruderer über Bord fegte. »Realder!«, rief ich seinen Namen. »Realder!«
    Nichts. Kein noch so geringes Aufflackern der Gabe und kaum eine spürbare Veränderung in der Alten Macht. Nun, ich hatte nicht angenommen, dass es so einfach sein würde. Während der nächsten Stunden versuchte ich alles nur Denkbare, um dem Geschöpf Leben einzuhauchen. Ich legte das Gesicht an seine schuppige Wange und spürte so tief in den Stein hinein, wie es mir möglich war. Von einem Regenwurm hätte ich mehr Antwort bekommen. Ich streckte mich neben dem steinernen Reptil aus und bemühte mich, eins mit ihm zu sein. Ich versuchte, die sich in der Tiefe regende Alte Macht zu erreichen. Ich verströmte Zuneigung in seine Richtung. Ich befahl ihm mit strengem Ton, endlich zu erwachen. Eda helfe mir, ich drohte ihm sogar mit ernsten Konsequenzen, falls er sich nicht augenblicklich erheben würde, um meinem Willen zu gehorchen. Alles ohne den geringsten Erfolg. - Nun gut, es gab ja noch andere Wege: Ich dachte zu ihm den Narren. Nichts. Ich griff nach dem Gabentraum, den der Narr und ich gehabt hatten, rief mir jede Einzelheit der Frau mit der Hahnenkrone ins Gedächtnis und bot ihm das an. Keine Reaktion. Ich verlegte mich auf einfachere Dinge. Veritas hatte gesagt, vielleicht wären sie verhungert. Ich stellte mir Teiche mit frischem, süßem Wasser vor und fette, silberne Fische in der kühlen Tiefe. Ich malte mir aus, wie Realders Drache von einem größeren verschlungen wurde und vermittelte ihm dieses Bild. Auch das blieb vergeblich.
    Ich dachte zu meinem König. Falls Leben in diesen Bildnissen existiert, ist es zu schwach und fern, als dass ich es erreichen könnte.
    Es beunruhigte mich ein wenig, dass Veritas sich keine Mühe zur Antwort gab, doch womöglich betrachtete auch er dieses Unternehmen als eine Art letzten Versuch und sah in ihm nur wenig Aussicht auf Erfolg. Ich verließ Realders Drachen und wanderte von einer Skulptur zur nächsten, spürte nach ihnen und versuchte herauszufinden, ob sich dort irgendwo eine stärkere Ausstrahlung der Alten Macht manifestierte. Einmal glaubte ich schon, fündig geworden zu sein, doch bei genauerer Überprüfung stellte ich fest, dass unter der Brust des Drachen eine Feldmaus ihr Nest hatte.
    Ich suchte mir eine Skulptur mit einem Bocksgehörn aus und wandte auf sie erneut jede Taktik an, die ich bereits an Realders Drachen ausprobiert hatte - mit ebenso wenig Erfolg. Mittlerweile war der Abend angebrochen, und es war Zeit, an den Rückweg zu denken. Ich fragte mich, ob Veritas wirklich mit meinem Erfolg gerechnet hatte. Voller Verbissenheit ging ich auf dem Weg zu dem Pfeiler noch einmal zu jedem Drachen hin und unternahm jeweils noch einen allerletzten Versuch.
    Und das rettete mir wahrscheinlich das Leben. Ich stand gerade von einem Drachen auf, weil ich von dem nächsten eine starke Ausstrahlung der Alten Macht zu spüren glaubte, doch als ich hinkam - es war der massige, geflügelte Keiler mit den rasiermesserscharfen Hauern -, bemerkte ich, dass die Strömung von einer weiter entfernten Quelle ausging. Ich hob den Blick und spähte zwischen den Bäumen hindurch in der Erwartung, ein Reh zu entdecken oder ein Wildschwein. Doch was ich sah, war ein Mann mit gezücktem Schwert, der mir den Rücken zuwandte.
    Ich beugte mich hinter dem Keiler nieder. Mein Mund war plötzlich trocken, und mein

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