Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Während der Tee zog, ordnete ich meine Gedanken.
»Ihr wollt, dass ich die Alte Macht und die Gabe benutze, um die Drachenskulpturen zum Leben zu erwecken. Wie stelle ich das an?«
Veritas zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Trotz allem, was Krähe mir erzählt hat, habe ich da in Bezug auf die Gabe noch beträchtliche Wissenslücken. Als Galen sich Solizitas’ Schriften aneignete und gleichzeitig Chivalrics und meine Ausbildung für beendet erklärte, war es ein meisterhafter Schlag gegen uns. Ich muss immer wieder darüber nachdenken. Hat er damals schon Pläne geschmiedet, seinen Halbbruder auf den Thron zu setzen, oder war er nur machthungrig? Wir werden es niemals erfahren.«
Dies schien mir der geeignete Augenblick zu sein, um etwas zur Sprache zu bringen, das ich bis jetzt nie erwähnt hatte. »Da gibt es eine Sache, die ich nicht verstehe. Krähe sagt, dadurch, dass Ihr Carrod mit der Gabe getötet habt, hättet Ihr Euch selbst eine schwere Wunde zugefügt. Doch Ihr habt Galen die Kraft entzogen, bis er tot war, ohne Schaden zu nehmen. Auch Serene und Justin schien es nichts auszumachen, dass sie dem König die Gabe aussaugten.«
»Jemandem die Gabe entziehen ist etwas anderes, als jemanden mit einem Ausbruch der Gabe zu töten.« Veritas stieß ein bitteres Lachen aus. »Da ich beides getan habe, kenne ich den Unterschied. Als es mit ihm zu Ende ging, starb Galen lieber, als mir seine ganze Kraft auszuliefern. Ich vermute, dass mein Vater eine ähnliche Wahl getroffen hat, wahrscheinlich auch, um sie nicht wissen zu lassen, wo ich mich aufhielt. Welche Geheimnisse Galen mit in den Tod nahm, davon können wir uns inzwischen eine Vorstellung machen.« Er schaute auf das Stück Fleisch in seiner Hand und legte es beiseite. »Doch jetzt muss unsere erste Sorge sein, die Uralten zu erwecken. Du magst dich umschauen und einem sonnigen Tag entgegensehen, Fitz. Ich dagegen erblicke eine verräterisch ruhige See und ungünstige Winde, welche die Roten Schiffe an unsere Küste tragen. Während ich hier haue und schabe und meißle, sterben dort meine Untertanen oder werden entfremdet. Ganz zu schweigen davon, dass Edels Truppen an der Grenze des Bergreichs brandschatzen und morden. Der Vater meiner Gemahlin reitet in die Schlacht, um sein Volk vor den Armeen meines Bruders zu beschützen. Wie mich das umtreibt und erbittert! Gelänge es dir, die Drachen zu erwecken, könnten sie sich jetzt schon zu ihrer Verteidigung erheben.«
»Ich lasse mich nicht gerne auf etwas ein, wenn ich nicht genau weiß, was damit zusammenhängt...«, begann ich, doch Veritas unterbrach mich mit einem Grinsen.
»Mir scheint, dass du mich gestern flehentlich gebeten hast, genau das tun zu dürfen, FitzChivalric.«
Er hatte mich ertappt! So nickte ich nur noch ergeben und sagte: »Nachtauge und ich werden morgen früh aufbrechen.«
Er runzelte die Stirn. »Ich sehe keinen Grund, so lange zu warten. Es ist keine lange Reise für dich, nur ein Schritt durch den Pfeiler. Aber dem Wolf ist dieser Weg verschlossen. Er muss hierbleiben. Und ich möchte, dass du dich unverzüglich aufmachst.«
Mir so beiläufig zu sagen, ich müsse ohne meinen Wolf gehen. Lieber wäre ich splitterfasernackt aufgebrochen! »Unverzüglich? Wie auf der Stelle?«
»Weshalb nicht? Von einem Moment zum anderen kannst du schon dort sein. Versuche dein Möglichstes. Hast du Erfolg, werde ich es wissen. Wenn nicht, komm heute Abend durch den Pfeiler wieder hierher zurück. Durch den Versuch verlieren wir nichts.«
»Und der Zirkel?«
»Er ist für dich dort keine größere Gefahr als hier. Nun geh.«
»Sollte ich nicht warten, bis die anderen zurück sind, um ihnen zu erklären...«
»Ich werde es ihnen sagen, Fitz. Also, wirst du deinem König diesen Dienst erweisen?«
Auf diese Frage konnte es nur eine Antwort geben. »Selbstverständlich, Majestät.« Noch einmal zögerte ich. »Ich weiß nicht genau, wie man den Pfeiler benutzt.«
»So einfach wie eine Tür. Du legst deine Hand darauf, und er bedient sich deiner Gabe. Hier, dieses Symbol...« Er zog mit einem Finger Striche in den Staub. »Das bringt dich in den Garten der Drachen. Und dies«, eine weitere Zeichnung folgte, »bringt dich wieder hierher zurück.« Er musterte mich mit einem durchdringenden Blick, als wolle er mir bis auf den Grund der Seele schauen.
»Heute Abend bin ich wieder hier«, versicherte ich ihm.
»Gut. Möge dir das Glück zur Seite stehen.«
Damit war es abgemacht.
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