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Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier

Titel: Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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dabei, ihr die Kleider vom Leib zu reißen. Melisma kniete am Boden, hielt ihren Arm umklammert und schrie vor Schmerzen. Ein zerraufter und staubbedeckter Josh raffte sich eben von der Straße auf und bewegte sich mit ausgestreckten Händen - seinen Stab hatte er verloren - in Richtung von Melismas Stimme.
    Im Nu war ich mitten unter ihnen. Ich schleuderte den Entfremdeten mit einem Tritt von Imme herunter und stieß ihm von oben herab mit beiden Händen das Schwert in den Leib. Er bäumte sich zwar noch auf, trat nach mir und versuchte, mich zu packen, aber ich stützte mich auf die Klinge, bis ich ihn buchstäblich an den Boden genagelt hatte. Sein Mund spie mir Blut und röchelnde Flüche entgegen. Er bekam meinen rechten Unterschenkel zu fassen und versuchte, mich von den Beinen zu reißen, aber ich befreite mich aus seinem Griff. Gern hätte ich das Schwert herausgezogen und ihn schnell getötet, doch er war so stark, dass ich es nicht wagte. Imme machte ihm schließlich ein Ende, indem sie mit der ganzen Kraft ihrer Angst und ihres Hasses den Stab in sein Gesicht rammte. Dieser doch schnelle Tod des Mannes war für mich nicht weniger eine Gnade als für ihn. Ich brachte gerade noch eben genügend Kraft auf, ihm die Klinge aus dem Leib zu ziehen, dann torkelte ich völlig entkräftet ein, zwei Schritte nach hinten und fiel mit einem Ruck sitzend auf den Boden.
    Meine Umgebung nahm ich nur noch undeutlich war. Melismas schmerzerfülltes Wimmern klang in meinen Ohren wie das ferne Kreischen von Möwen. Als wäre ein Damm gebrochen, stürzte alles auf mich ein; ich war in ihnen allen und überall. Oben im Wald leckte ich meine Schulter, ordnete mit der Zunge das dichte Fell, erkundete das Ausmaß der Wunde, während ich sie mit Speichel überzog. Gleichzeitig saß ich auf der Straße in der Abendsonne und roch Staub, Blut und die Exkremente der erschlafften Toten. Ich fühlte erneut jeden Hieb, den ich ausgeteilt und hingenommen hatte, den dumpfen Schmerz in meinen Muskeln, die Zerrungen und Prellungen sowie meine von den Schlägen des Knüppels arg mitgenommenen Schultergelenke. Dieses blutrünstige Töten hatte für mich zwei Gesichter. Ich wusste, welchen Schmerz ich ihnen zugefügt hatte. Ich wusste genau, was sie empfunden hatten, als sie vom Feind bezwungen und ihm in dem kurzen Moment vor ihrem Tod ausgeliefert waren, aber dadurch von weiteren Qualen verschont wurden. Mein Bewusstsein pendelte zwischen den Extremen des Opfers und des Mörders. Ich war beides.
    Und ich war allein und einsamer, als je zuvor. Früher war in einer Situation wie dieser immer jemand für mich da gewesen. Bordkameraden am Ende einer Seeschlacht. Burrich, der mich zusammenflickte und nach Hause schleppte. Nach Hause , wo Philia herbeieilte, um mich zu bemuttern, oder wo Chade und Veritas mich ermahnten, besser auf mich aufzupassen. Dann nicht zuletzt Molly, die in der Stille der Nacht kam, um mit ihren Zärtlichkeiten die Gewalt vergessen zu machen.
    Diesmal war der Kampf vorüber und ich noch am Leben, und niemanden kümmerte es - außer dem Wolf. Ich liebte ihn, aber deutlicher als je zuvor wurde mir bewusst, dass ich mich auch nach der Berührung eines Menschen sehnte. Wäre ich wirklich ein Wolf gewesen, hätte ich den Kopf zum Himmel erhoben und geheult. So aber lenkte ich meine Sinne hinaus in die Ferne - auf eine Art, die ich nicht beschreiben kann. Nicht mit der Alten Macht, nicht mit der Gabe, sondern mit einer unheilvollen Verquickung der beiden, die in eine verzweifelte Suche nach irgendjemandem mündete, der vielleicht irgendwo Anteil an meinem Schicksal nahm.
    Fast glaubte ich, etwas zu spüren. Hob vielleicht Burrich den Kopf und blickte über das Feld, auf dem er arbeitete? Hatte er für einen Augenblick den Geruch von Blut und Staub in der Nase, statt den satten Duft der Erde, die er mit der Hacke aufwühlte, um die reifen Knollen einzusammeln? Richtete Molly sich vielleicht vom Waschtrog auf, stemmte die Hände in den schmerzenden Rücken und schaute sich fragend um, erstaunt über ihr plötzliches Gefühl von Verlassenheit? Rüttelte ich gerade an Veritas’ ausgelaugtem Bewusstsein, lenkte ich Philia für einen Augenblick von der Arbeit mit ihren Kräutern ab oder ließ ich Chade ratlos innehalten, während er eine Schriftrolle zur Seite legte und nach der nächsten griff? Wie Motten an erleuchteten Fenstern stießen meine verzweifelten Gedanken flatternd gegen ihre Bewusstseinssphären. Ich sehnte mich nach der

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