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Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote

Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote

Titel: Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Tag oder Nacht war. Mein Gefühl jedoch sagte mir, es war tiefe Nacht. Ich versuchte, wieder Schlaf zu finden. Doch da war wieder Chades drängende Stimme, die auf mich einredete …
    Ich setzte mich langsam auf. Der Tonfall war unverkennbar; die gedämpfte Stimme gehörte Chade. Wenn ich saß, wurde sie leiser. Ich legte mich wieder hin. Jetzt war sie lauter, aber was sie sagte, konnte ich immer noch nicht verstehen. Ich drückte das Ohr an die Bank. Nein. Ich stand auf und ging an den Wänden entlang. Es gab eine Ecke, in der die Stimme am lautesten zu vernehmen war, aber die Worte blieben undeutlich und erschienen mir wie ein an- und abschwellendes Gemurmel. »Ich kann dich nicht verstehen«, sagte ich zu meiner leeren Zelle.
    Die Stimme schwieg. Meldete sich wieder, mit fragender Betonung.
    »Ich kann dich nicht verstehen!«, sagte ich lauter.
    Chade sprach erregt weiter, aber keinesfalls lauter.
    »Ich kann dich nicht verstehen!«, rief ich frustriert.
    Schritte vor meiner Zelle. »FitzChivalric!«
    Die Wärterin war klein, sie konnte nicht zu mir hereinsehen. »Was ist?«, fragte ich schläfrig.
    »Was habt Ihr gerufen?«
    »Ich? Oh, es war nur ein schlechter Traum.«
    Die Schritte entfernten sich. Ich hörte sie lachend zu ihrem Kameraden sagen: »Schwer sich vorzustellen, welcher Traum für ihn schlimmer sein könnte als das Erwachen.« Sie hatte einen binnenländischen Akzent.
    Ich ging zu meiner Bank zurück und legte mich hin. Chades Stimme war verstummt. Auch wenn ich der Wärterin Recht geben musste und jeder Traum besser war als die Wirklichkeit, so nahm ich mir doch vor, nicht gleich wie der einzuschlafen, sondern darüber nachzudenken, was Chade so angestrengt versucht hatte, mir mitzuteilen. Wohl kaum gute Neuigkeiten, aber schlechte wollte ich mir nicht ausmalen. Wenn ich schon hier sterben musste, dann wenigstens, weil ich der Königin bei ihrer Flucht geholfen hatte. Ich fragte mich, wie weit sie inzwischen gekommen war. Und der Narr, wie überstand er die Mühsalen einer Winterreise? Ich verbot mir, darüber nachzugrübeln, weshalb Burrich nicht bei ihnen war. Stattdessen ließ ich meine Gedanken zu Molly schweifen.
    Ich muss eingenickt sein, denn ich sah sie plötzlich vor mir. Sie mühte sich mit einem Joch an Wassereimern auf den Schultern einen steilen Pfad hinauf. Sie sah blass aus und krank und erschöpft. Auf der Kuppe des Hügels stand eine baufällige Kate, die vom Schnee halb zugeweht war. An der Tür blieb Molly stehen, setzte die Eimer ab und schaute auf das Meer hinaus. Sie runzelte die Stirn über das schöne Wetter und den leichten Wind, der die Wellen nur spielerisch mit weißem Schaumkronen bedachte. Die Brise hob ihr dichtes Haar, wie ich es auch zu tun pflegte, und streichelte ihr an der weichen Linie von Nacken und Kehle entlang. Ihre Augen wurden plötzlich groß, dann füllten sie sich mit Tränen. »Nein«, sagte sie laut. »Nein. Ich werde nicht mehr an dich denken. Ich will es nicht.« Sie bückte sich, hob die schweren Eimer auf, trat in die Hütte und schloss die Tür entschieden hinter sich. Der Wind pfiff um die Ecken. Das Dach war schadhaft. Der Wind wehte stärker, und ich ließ mich davontragen.
    Ich ergab mich dem Wind, weil ich in der Schwerelosigkeit meine Schmerzen förmlich abschütteln konnte. Es lockte mich, tiefer in ihn hineinzutauchen, wo sein Atem rascher strömte, wo er mich gänzlich hinwegschwemmen konnte, fort von mir selbst und all meinen unwichtigen Sorgen. Ich streckte meine Hände in diesen Sog, die so schnell und stark waren wie ein reißender Fluss. Es zerrte an mir.
    Ich würde mich davon fernhalten, wenn ich du wäre.
    Wirklich? Ich gab Veritas einen Moment Zeit, sich mit meiner Lage vertraut zu machen.
    Vielleicht nicht, schränkte er grimmig ein. Dann kam so etwas wie ein Seufzen von ihm. Ich hätte mir denken können, dass es schlimm sein muss. Wie es scheint, sind nur starke Schmerzen, eine Krankheit oder eine groβe Bedrängnis in der Lage, deine Barrieren so Krankheit oder eine große Bedrängnis in der Lage, deine Barrieren so weit zu schwächen, dass du von der Gabe Gebrauch machen kannst. Er verstummte. Wir schwiegen beide und dachten an alles und nichts. Mein Vater ist also tot. Justin und Serene. Warum habe ich es nicht geahnt. Mattigkeit und schwindende Kraft, das sind die Symptome von einem, dessen Gabe bewusst zu oft in Anspruch genommen und dadurch maßlos ausgelaugt wurde. Ich nehme an, es hat schon vor Galens Tod angefangen.

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