Fix und forty: Roman (German Edition)
immer kühl.«
»War es dir nicht peinlich, zum Mittagessen eine Milchflasche mitzubringen?«
»Es war überhaupt nicht peinlich! Warum sollte es mir peinlich sein, zum Mittagessen Milch zu trinken?«
»Was für Pausenbrote haben eure Mütter euch mitgegeben?«, fragte ich.
»Schmalzbrot«, sagte meine Mutter. »Ich mochte es nicht, wenn das Schmalz rosa war. Aber mit Salz hat es ganz gut geschmeckt. Salz verstärkt den Geschmack von Schmalz.«
»Erdnussbutterbrote«, sagte mein Vater. »Jeden Tag zwei Erdnussbutterbrote. Manchmal gab es sogar ein Sardinenbrötchen.«
»Und du willst mir sagen, dass Sardinenbrötchen nicht peinlich waren?«
»Schmalz war peinlich«, sagte meine Mutter.
»Schon klar«, stimmte ich zu. »Aber Sardinen?«
»Nein, ich war stolz auf die Sardinen. Sie waren köstlich«, antwortete Dad nostalgisch. »Warum essen wir nie Sardinen?«, fragte er meine Mutter. »Ich habe meinen Freunden jedenfalls immer was abgegeben. Aber da war ein Bursche namens Fritz Vanderkamp, über dessen Pausenbrote haben wir uns lustig gemacht. Seine Mutter gab ihm immer ein merkwürdiges Sandwich mit. Oben war eine Scheibe Brot«, bei der Erinnerung lachte er in sich hinein, »und unten ein Pfannkuchen. Er aß immer so.« Mit den Händen schirmte Dad ein imaginäres Halb-Pfannkuchen-Sandwich vor neugierigen Blicken ab.
Mom und ich lachten schallend, sowohl über das halbe Pfannkuchen-Sandwich als auch über die diebische Freude, die es bei meinem Vater auslöste. Ach, hört sie je auf, die Hackordnung der peinlichen Pausenbrote? Mein Herz fühlte mit dem armen, gedemütigten Fritz Vanderkamp, der vielleicht noch lebte, vielleicht auch nicht. Wenn ja, dann wünsche ich ihm, dass er heute ohne Scham einen Pfannkuchen aus der Nähe betrachten kann.
Hannah und ich haben oft darüber gesprochen, dass es Spaß machen würde, die Perlen der mennonitischen Küche neu aufzurollen, die uns in unserer Jugend so beschämt hatten und die wir in der Schulcafeteria daher immer zu verstecken versuchten. Nach sorgfältiger Prüfung erstellten wir schließlich eine Liste peinlicher Pausenmahlzeiten, zu denen sich die Leserinnen und Leser eine peinliche Lunchbox vorstellen müssen, deretwegen wir an der Easterby-Grundschule mit allgemeiner Ächtung bestraft wurden. Doch, halt. So ganz stimmt das nicht. Hannah sagte, zu dem Zeitpunkt, als sie bei ihrer dritten oder vierten Lunchbox angelangt war, hatte unsere Mutter ihr versehentlich eine nicht-peinliche Holly-Hobbie -Lunchbox gekauft. Wohl wissend, dass dieses glückselige Ereignis wie der Halley’sche Komet nur alle sechsundsiebzig Jahre eintreten würde, klammerte sich Hannah an ihre Holly-Hobbie -Lunchbox bis weit in die Mittelstufe.
Wahrscheinlich hatte ich ihr mit hartnäckigen Beschwerden über meine Lunchbox den Weg geebnet. An der Easterby-Grundschule hatten die meisten Kinder bunt gemusterte Blechköfferchen dabei, auf denen Aquaman, Underdog und ihre Kameraden zu sehen waren. Die Lunchbox, von der ich träumte, war die mit Josie und den Pussycats. Es ist extrem unwahrscheinlich, dass eine Josie-und-die-Pussycats-Lunchbox mich aus dem Sumpf der Uncoolness gerettet hätte, in dem ich längst steckte, doch im Alter von acht Jahren glaubte ich, damit etwas ändern zu können. Ich dachte, dass Josie und die Pussycats auf wundersame Weise meine selbst genähten knielangen Röcke und meine blonden, mit neurotischer Präzision geflochtenen Zöpfe wettmachen würden, die mich aussehen ließen wie Heidi auf Crack.
Doch irgendeine höhere mennonitische Gewalt, die sich außerhalb meiner Kontrolle befand, sorgte dafür, dass ich meine Mittagsmahlzeit in einer dunkelblauen Nylontasche mit langem Riemen zur Schule tragen musste. Das Ding war ganz offensichtlich für Erwachsene entworfen, und später fragte ich mich sogar, ob es nicht eigentlich eine Wickeltasche war. (Es gab dazu eine Vorgeschichte: Für Picknicks und selten vorkommende Disneyland -Besuche packte meine Mutter eine geräumige Wickeltasche mit feuchten Thunfisch-Sandwiches.) Die Erinnerung an meine triste dunkelblaue Wickeltasche hat bestimmt nicht unwesentlich zu meinem heutigen Interesse an Prada beigetragen.
Unsere Mutter verpackte unser Mittagessen meistens in gebrauchtes Wachspapier – nennen wir es Vintage. Auf Plastik-Sandwichtüten verzichtete sie aus Kostengründen. Immer wenn wir uns beschwerten, dass andere Kinder sich über uns lustig machten, war ihr sonniger elterlicher Rat: »Als meine sechzehn
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