Fix und forty: Roman (German Edition)
hatte ich Achtung vor der hier so wortreich bekundeten nachhaltigen Wirkung, die unsere Lehrer und Mentoren auf uns haben.
Ich versuchte, meiner Schwester diesen Gedanken zu erklären. Hannah antwortete: »Papperlapapp. Was Mrs. Eplett der armen süßen Milla angetan hat, war kriminell, selbst wenn sie aus dem Schritt gemüffelt hätte. Ich frage mich, was aus Milla geworden ist.«
»Lola hat gehört, dass sie Kinderärztin geworden ist und eine gut gehende Praxis in Orlando hat.«
»Trotzdem.«
»Ich weiß. Wahrscheinlich hat sie Narben fürs Leben von der Geschichte zurückbehalten. Sogar ich bin gezeichnet fürs Leben!«
»Dass du dich nicht gegen Autoritäten wehren konntest, erklärt, warum du so lange bei Nick geblieben bist, obwohl du längst hättest gehen sollen«, sagte sie.
»Ich weiß«, gab ich verdrossen zu. »Verdammt. Und das Komische ist, ich bin Literaturwissenschaftlerin. Das Hinterfragen von Autoritäten ist mein täglich Brot. Nenn mir irgendein Argument, und ich sage dir, warum es nicht stimmt.«
»Ein reizender Zug an einer Schwester!«, sagte sie. »In unserem Berufsleben sind wir jedenfalls offensichtlich beide in der Lage, uns gegen Autoritäten zu behaupten. Als ich noch in der Bank gearbeitet habe, konnte ich das nämlich auch. Aber zeig mir eine Mennonitin, und ich zeige dir eine Frau, die Probleme hat, sich in ihrem Privatleben durchzusetzen.«
Es war nicht so, dass ich Nick nie hinterfragt hätte. Er machte es einem leicht, seine Schwächen zu erkennen, denn er betonte sie selbst am allermeisten. Aber er war einfach so zerrissen, so deprimiert, so lustig und so wunderbar, dass ich es nicht übers Herz brachte, die Grenzen zu ziehen, die es gebraucht hätte.
»Als ich ihn die ersten paar Male verließ, war ich noch nicht bereit, es wirklich durchzuziehen«, sagte ich traurig.
»Na und? Diesmal warst du bereit. Du musst nicht zurückblicken und irgendetwas bereuen«, sagte sie. »Genauer gesagt musst du überhaupt nicht zurückblicken.«
»Das Problem ist, ich habe ihn geliebt.«
»Du liebst ihn immer noch.«
»Verdammter Mist«, sagte ich wieder. »Erwachsensein heißt mit Widersprüchen leben zu lernen.«
»Nein, eben nicht«, sagte Hannah nachdenklich. »Du hast erfolgreich mit Widersprüchen gelebt, seit du angefangen hast, die mennonitische Ursprach zu hinterfragen. Und du hast immer gewusst, dass deine Liebe zu Nick nicht unbedingt bedeutete, dass du mit Nick leben solltest. Er ist ein so unglücklicher Mensch, dass er jeden mit ins Unglück gezogen hätte.«
»Er hat mich nicht unglücklich gemacht. Nur am Ende vielleicht.«
»Du hättest aber unglücklich sein müssen . Für mich heißt Erwachsensein nicht, mit Widersprüchen zu leben. Im Gegenteil, Erwachsensein heißt, endlich den Willen zu entwickeln, Widersprüche aufzulösen und Einfachheit in dein Leben zu lassen. Was ist einfacher, als zu sagen: ›Egal welche Gefühle ich für ihn habe, ich werde nicht zulassen, dass er mir schadet‹? Es mag wehtun. Aber es ist einfach.«
Ich schüttelte den Kopf. »Bei dir klingt es so, als hätte ich ihn verlassen. Aber ich war der Feigling, der nie gegangen wäre. Der nie gehen wollte . Er hat mich verlassen.«
»Aber jetzt bist du es, die loslässt. Endlich! Weißt du, anders als bei euren zahlreichen vorigen Trennungen scheinst du nun zum ersten Mal deinen Frieden gefunden zu haben.«
Abends blieben Hannah und ich noch lange auf, um uns die japanische Sendung Iron Chef im Fernsehen anzusehen. Zu Hause hatte ich keinen Kabelanschluss, eine Tatsache, die ich offiziell auf meinen jüngsten finanziellen Engpass, sprich mein Ehefiasko, schob, die aber in Wirklichkeit mehr damit zu tun hatte, dass ich eine schmerzhaft uncoole Akademikerin war. Tragischerweise nehmen wir Dozenten lieber eine blumige Biografie von Feo Belcari in die Hand, als den Fernseher anzustellen. Hannah war entsetzt, dass ich noch nie von Iron Chef gehört hatte.
»Wie kannst du dich Köchin nennen und nicht wissen, was in der kulinarischen Welt vor sich geht?«
»Kann ich nicht eine gute Köchin sein, ohne zu wissen, was andere Leute kochen?«
»Nein.«
Ich versuchte es mit Zen. »Wie klingt das Klatschen einer einzelnen Hand?«
»Sei auf dem Laufenden oder zieh die Schürze aus«, sagte sie unbeeindruckt.
»Na ja«, sagte ich kleinlaut, »wenigstens trage ich keine Fleece-Weste.«
Die Sendung löste das gleiche wehrlose Gefühl in mir aus wie der kosmische Zwang, einen großen Schluck
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