Fix und forty: Roman (German Edition)
Buttermilch zu trinken. Der Geruch lässt Sie schaudern, aber trotzdem wollen Sie mehr. In der Sendung testete ein Gastrokritiker ein israelisches Couscous-Gericht mit einer dicken Rote-Bete-Soße und beurteilte es dann ausführlich auf Japanisch, sodass wir kein Wort verstanden. Der Kritiker sprach lange. Er arbeitete sein Plädoyer aus, gestikulierte wild und jonglierte mit nuancenreichen Argumenten. Schließlich zog er mit einem rhetorischen Schnörkel irgendeine Schlussfolgerung, die ernsten Protest auszudrücken schien. Gerade als er zum letzten Satz ansetzte, ertönte aus dem Off die ruhige Stimme der professionellen Dolmetscherin. Sie interpretierte den langen, wortreichen Kommentar des Kritikers folgendermaßen:
»Ich fühle mich gut.« (Pause)
»Insgesamt.« (Pause)
»Jetzt gerade.«
Als ich abends zu Bett ging und dabei die Melodie von Brighten the Corner Where You Are vor mich hinpfiff, ging ich im Kopf die Ereignisse des Tages durch. Hornblower. Check. Großes Geschäft. Check. Couscous. Check. Einfachheit. Check. Mein Herz war gebrochen, meine Beine vernarbt, und wahrscheinlich würde ich mein Haus verlieren. Aber wer hätte das gedacht – ich fühlte mich gut. Insgesamt. Jetzt gerade.
ACHT
Bewegtes Wasser
Als Kind wollte ich unbedingt tanzen, und meine Sehnsucht war so groß, dass ich einmal in der Sonntagsschule herumerzählte, ich würde abends im Fernsehen auftreten und bei Ted Macks Talentstunde vorsteppen. Ted Macks Talentstunde war das American Idol meiner Generation, eine Art Varieté, in dem ehrgeizige Eltern ihre stimmbegabten Knirpse vorstellten. Mit Tremolo und fransigen Cowboy-Outfits grölten Kinder ihre Melodien und zuckten dabei manisch im Kreis herum wie amoklaufende Spielzeugpuppen.
Prompt riefen mehrere Kirchenmamas bei meiner Mutter an und fragten mit erstaunter Missbilligung, auf welchem Kanal mein Auftritt ausgestrahlt würde. Am nächsten Sonntag musste ich zur Strafe die gesamte Sonntagsschulklasse um Vergebung bitten, so wie damals Mrs. Ollenburger – die mit den wabbeligen Oberarmen – unsere Kirchengemeinde um Vergebung für ihre Eitelkeit bitten musste, nachdem sie sich das Fett hatte absaugen lassen.
Einmal als Mädchen mit unrühmlichen Verhaltensweisen abgestempelt, war ich fortan eine Kandidatin, die mit besonderem Argwohn bedacht wurde. Meine Sonntagsschullehrerin, die uralte Mrs. Lorenz, fühlte sich bemüßigt, meine Mutter zu fragen, ob ich wirklich allergisch gegen Rosinen war. Vor die Wahl gestellt, hätten wir Kinder wahrscheinlich lieber das Telefonbuch gegessen als Mrs. Lorenz’ trockene Haferkekse. Diese speziellen Kekse waren nicht nur alt, sie wimmelten von Rosinen. Mrs. Lorenz reichte mir einen großen sandigen Keks, der von Rosinen durchlöchert war und aussah wie ein Ameisenhaufen aus Dörrobst. Höflich knabberte ich eine Ecke an, dann schüttelte ich traurig den Kopf: Ich war allergisch, schrecklich allergisch gegen Rosinen. Eine Rosine, und mein Hals schwoll vollständig zu. Leider hatte das Tanzdrama vom letzten Sonntag Mrs. Lorenz wachsam gemacht, und kaum war die Sonntagsschule vorbei, kam sie dahinter, dass ich keinesfalls unter einer tödlichen Rosinenallergie litt. Es war schlimm genug, meine Sünde zu beichten, aber noch demütigender war der Umstand, es wieder vor der ganzen Gruppe tun zu müssen.
Doch auch Strafen konnten mich nicht von meinem Wunsch abbringen, tanzen zu lernen. Die Leidenschaft hielt bis ins Erwachsenenalter an, als ich endlich die Unabhängigkeit und die Mittel besaß, einen Tanzkurs zu belegen. Ein einziges Mal hat mich allerdings das mennonitische Tanzverbot vor einem Fiasko bewahrt. Und zwar in der achten Klasse in Mr. Handwerkers schrecklichem Erdkundekurs.
Mr. Handwerkers Unterricht war etwas für Naturwissenschafts-Freaks. Die oberschlauen Turbo-Streber (zu denen mein Bruder Aaron gehörte) liebten ihn. In den Pausen versammelten sie sich mit ihren duftenden Wurstbroten in Mr. Handwerkers Büro. Aaron war ein altkluger kleiner Stöpsel, dessen Neigung, alle Tiere bei ihrem wissenschaftlichen Namen zu nennen, erst später gesellschaftlich problematisch wurde, als er in der Oberstufe seine volle Größe erreichte. Doch in der Mittelstufe war er der Liebling der Lehrer. Er versuchte sogar, sich Mr. Handwerkers mürrische Überheblichkeit abzugucken. Mr. Handwerkers ungeduldige Arroganz machte es mir unmöglich zuzugeben, dass ich Eruptivgestein nicht von Sedimentgestein unterscheiden konnte. Schon in der
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