Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fix und forty: Roman (German Edition)

Fix und forty: Roman (German Edition)

Titel: Fix und forty: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rhoda Janzen
Vom Netzwerk:
vereinbarten Zeitpunkt würde Milt Perko, der Klassenclown, dazukommen. Milt Perko würde der Überbringer der schlechten Nachrichten sein. Er sollte Milla sachlich im Namen von uns allen bitten, Deodorant zu benutzen. Milt Perko, der sich immer auf sein Pult stellte und laut furzte, BH-Träger schnalzen ließ und schmutzige Witze riss! Alle liebten Milty, und daher war es an ihm, in der Not für uns einzutreten. Mrs. Eplett hatte ihn nominiert, Mike Helm befürwortete die Wahl, und vierundzwanzig Hände schnellten in demokratischer Unterstützung in die Höhe.
    Am fraglichen Tag litt ich Höllenqualen und war angesichts der Gewisssheit, was gleich mit der armen Milla passieren würde, einer Panikattacke nahe. Ich hatte gerade Charles Dickens’ Geschichte aus zwei Städten gelesen, und als Lola und ich Milla ins Klassenzimmer führten, stellte ich mir vor, wir wären drei Adlige auf dem Schinderkarren, die Schädel rasiert, bescheiden und rein, auf dem Weg zum Schafott. Es ist etwas weit, weit Größeres, was ich tue, als was ich je getan habe.
    Pünktlich auf die Minute kam Milty um die Ecke. Würde der Clown es schaffen, ein ernstes Gesicht zu machen? Mit finsterer Miene näherte er sich, die Hände in den Hosentaschen. Nie hatte er weniger nach Witzbold ausgesehen; er wirkte geradezu gereift. Geradewegs ging er auf uns zu, sah Milla männlich in die Augen und sagte, ohne sich groß mit Vorgeplänkel aufzuhalten: »Milla, die ganze Klasse fände es gut, wenn du ab und zu Deodorant benutzt. Mrs. Eplett hat mich gebeten, dir das auszurichten. Und die Klasse hat dafür gestimmt und so.«
    Milla blickte plötzlich zur Decke. Ihre Lippen waren zu einem künstlichen Puppenlächeln verzerrt.
    Doch Milty durfte nicht gehen, bevor er eine Antwort bekam. »Okay, Milla? Deo, okay? Das sprühst du dir in die Achsel, okay?«
    »Okay«, flüsterte sie. Dann, aus dem Nichts, schaffte sie es, eine königliche Haltung anzunehmen, indem sie sagte: »Wenn es dir nichts ausmacht, Milty, wir haben gerade eine private Unterhaltung geführt.«
    Milty nickte. Auftrag ausgeführt. Heldenhaft schritt er davon und pfiff ein Liedchen.
    Milla sah mich und Lola an und versuchte, ihre Tränen wegzublinzeln. Sie griff nach meiner Hand. Während der ganzen Pause saßen wir zu dritt im Klassenzimmer, hielten uns an den Händen und redeten über Millas Schwester Hava, als wäre nichts gewesen. Als würden wir uns überhaupt nicht an den Händen halten.
    Der Schmerz und die Panik, die ich während dieses Vorfalls spürte, dauerten erstaunlich lange an. Noch heute habe ich Albträume davon, wie Milty Perko um die Ecke eines imaginären Schulflurs kommt und auf mich zugeht, der Agent des Untergangs, ein finsterer Ezechiel. Lola und mir war klar, dass wir Milla betrogen hatten, aber uns war nicht klar, dass wir eine Wahl gehabt hätten. Ich kann nicht für Lola sprechen, aber in der sechsten Klasse fehlte mir schlicht und einfach das Handwerkszeug, um einer Autoritätsperson zu widersprechen. Am Urteil eines Erwachsenen Zweifel zu äußern, lag außerhalb meines Vorstellungsvermögens. Und ich war Lichtjahre entfernt von dem Selbstvertrauen, das nötig war, um sich aufs Pult zu stellen und laut und absichtlich zu furzen , so wie es Milty Perko gelegentlich tat, zu unserer kollektiven Bewunderung und Anerkennung.
    »Großer Gott«, rief Hannah, als ich mit der Geschichte fertig war. »Was in aller Welt hat Mrs. Eplett sich dabei gedacht? Was für eine Art von Pädagogik ist das, Kinder an den Pranger zu stellen?«
    Ein paar Jahre nachdem ich selbst zu unterrichten begonnen hatte, schickte mein Vater mir einen Zeitungsausschnitt. Es ging um meine inzwischen uralte Lehrerin der sechsten Klasse, Mrs. Eplett. Ich war überrascht, dass sie noch lebte, aber da war sie auf dem Foto, frisch und perückiert. Das Bild war bei einer Feier zu Ehren ihrer langjährigen Lehrtätigkeit aufgenommen worden. Der Zeitungsartikel zitierte mehrere ihrer ehemaligen Schüler, die voll des überschwänglichen Lobs für Ann C. Eplett waren. »Mrs. Eplett hat uns den Hintern versohlt, wenn wir ungezogen waren!«, »Sie war die beste Lehrerin aller Zeiten! Sie kontrollierte, ob wir uns vor der Schule die Zähne geputzt hatten!«, »Mrs. Eplett hat mich heimgeschickt, weil ich Kopfläuse hatte!«. Als ich die Spalte mit den positiven Erinnerungen überflog, überkam auch mich eine Welle der Dankbarkeit. Obwohl Mrs. Eplett meine schlimmste, nicht meine beste Lehrerin gewesen war,

Weitere Kostenlose Bücher