Fix und forty: Roman (German Edition)
Backsteins« eingeladen worden, die an einem Freitag um 23 : 00 Uhr stattfand. »Das Weiterreichen des Backsteins« war eine rührselige Zeremonie bei Kerzenlicht, bei der alle Schwestern ihre unsterbliche Liebe zueinander bekundeten, indem sie im »Kreis der Solidarität« einen in Spitze gewickelten Backstein von Schwester zu Schwester reichten. Als der Backstein bei mir ankam, betastete ich ihn neugierig, doch ich konnte keine Besonderheit in seiner Form oder Beschaffenheit erkennen, außer dass er einen Spitzenkragen trug, so wie Anne Boleyn. Jedes Mal, wenn eine der Schwestern den Backstein erhielt, nahm sie ihn feierlich an und verkündete voller Inbrunst eine Botschaft des Vertrauens und der Hoffnung. Und diese lautete einvernehmlich, mitsamt dem Geschniefe und der verlaufenden Wimperntusche: »Ihr Mädels seid für immer meine Rückendeckung! Danke, Ladys!«
Würde dieser tief empfundene Ausdruck ewiger Freundschaft nach dem College-Abschluss noch länger als zehn Minuten gelten? Diese Frauen schienen Freundschaft allein an den Vorteilen zu messen, die für sie dabei heraussprangen. Ich habe nie erlebt, dass eine Verbindungsschwester im Kreis der Solidarität auf die besonderen Charaktereigenschaften hinwies, die die anderen jungen Frauen auszeichnete. Ich habe nie eine sagen hören: »Du bist die Seele des Anstands und des Takts«, »Deine Herzensgüte inspiriert mich«, »Deine Begeisterung für Geologie hat mich dazu gebracht, das Hauptfach zu wechseln«. Stattdessen erklärten die Schwestern, dass sie einander schätzten, weil sie sich gegenseitig nie das Messer in den Rücken rammen würden: »Da ist ein Mädchen, das mir nie den Freund ausspannt! Gott, wie ich sie dafür liebe!«, »Da ist ein Mädchen, das mir ihre Jimmy-Choo -Schuhe leiht! Beste Freundinnen für immer!«.
Ich hatte nie den Wunsch, einen Backstein weiterzureichen oder denselben in Spitze zu kleiden oder meine Strumpfhosen und Schuhe mit meinen Kolleginnen abzustimmen, aber aus irgendeinem Grund war mir die Schwesternschaft nach dem Erlebnis mit dem Backstein sympathischer als zuvor. Außerdem bin ich den Damen dankbar, dass sie die Frage aufgeworfen haben, was ein Backstein tragen kann und was nicht. Ich hatte mir davor nie Gedanken darüber gemacht, wie man einen Backstein kleiden sollte, um seine Vorzüge bestmöglich hervorzuheben.
Ja, ich finde, ein Backstein sieht in Spitze reizend aus, vielleicht sogar mit einer passenden Haube.
Nein, ich würde meinem Backstein lieber etwas Androgyneres anziehen, einen Overall zum Beispiel.
Meine neue-alte Freundin Eva, die ich noch vom College kannte, die mir aber erst jetzt richtig ans Herz gewachsen war, hat eine klare Seele, einer kühlen Quelle gleich, deren Tiefe uns immer wieder überrascht. Aus irgendeinem Grund finde ich Ruhe und Geborgenheit bei ihr. Ihre Art, einen mit schläfrigen Augen unter schweren Lidern anzusehen, erinnert an eine rothaarige Katze, die in der Sonne döst. Tatsächlich trifft die Katzenmetapher noch besser auf Eva zu als mein vorheriger Vergleich mit Dornröschen. Während Dornröschen Bewusstlosigkeit impliziert, steht die Katze für eine ausgeruhte Wachsamkeit, die Eva sehr gut charakterisiert. Sie sieht alles. Als ich ihr von Sören erzählte, fragte sie mich, ob ich ihn mal zum Abendessen mitbringen wollte. »Hm.« Ich zögerte. »Zum Abendessen? Bei euch? Nein.«
Sie nickte und lächelte mit schweren Lidern. Dank ihrer beiläufigen Frage wurde mir bewusst, wie ich wirklich zu der Geschichte mit dem blutjungen Mennoniten stand, mit dem ich mich traf. Er war witzig und er war sexy, doch ich würde ihn auf keinen Fall zu einem Abendessen bei meinen Freunden mitbringen. Ich konnte einfach nicht. Außerdem wollte ich Eva für mich haben. Wir hatten einen Punkt erreicht, an dem es interessanter war, herumzusitzen und über Theologie zu reden, als herumzusitzen und über Jungs zu reden.
Lustigerweise sprühten ihre Töchter vor Energie, während sie selbst eine solche Ruhe verströmte. Eva überließ Matea und Hazel meistens sich selbst. Im April stürmten sie in Weihnachtsgirlanden und Lametta gewickelt durchs Haus; sie tanzten zum Rhythmus einer mennonitischen Mandoline; sie trällerten Lieder aus der Oper des Lebens (»Lalalala, ich hab den Wurm entzweigeteilt, lala! Da ist ein Haar auf meiner Zahnbürste, lalala!«). Eva blieb gewöhnlich im Hintergrund, beobachtend, ohne sich einzumischen. Viele Eltern haben heute das Gefühl, sie müssten auf jedes
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