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Fix und forty: Roman (German Edition)

Fix und forty: Roman (German Edition)

Titel: Fix und forty: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rhoda Janzen
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trotz ihres Kummers – oder vielleicht gerade deswegen – spürte ich die innere Gelassenheit, die in ihr wie eine hundertjährige Stille blühte. Sie erinnerte mich an Dornröschen, als wäre sie kurz davor, die Augen zu schließen oder aufzuschlagen.
    Eva war die einzige meiner Freundinnen, die nicht einmal ansatzweise schockiert darüber war, dass ich mich mit einem siebzehn Jahre jüngeren Mann traf. Die arme Lola ging in Italien die Wände hoch, wenn auch mehr wegen der Tatsache, dass Sören Mennonit war. »Bist du WAHNSINNIG? Lauf weg, bevor er dich mit der Schürze am Bettpfosten festbindet und dich zwingt, eine Predigt über die Wichtigkeit von schmutzigem fruchtbarem Sex anzuhören! Und hast du schon mal was von MUTTERKOMPLEX gehört?«
    Infolge der eintrudelnden Ratschläge zu Sören und verwandten Herzensangelegenheiten lernte ich mal wieder wahre Freundschaft zu schätzen und war dankbar für meine innigen, ehrlichen Sag-es-wie-es-ist-Beziehungen zu Frauen wie Lola und Eva. Glücklicherweise musste ich mich in meinem Leben nie mit dem begnügen, was bei manchen Frauen als Freundschaft durchgeht. Was wäre, wenn meine engsten Frauenfreundschaften zu der Sorte gehörten, die ich oft am College zu sehen bekam, wo ich auch als Vertrauenslehrerin einer weiblichen Studentenverbindung tätig war?
    Obwohl ich während meines Studiums mit der Verbindungskultur nichts am Hut hatte oder vielleicht gerade weil ich keine persönlichen Erfahrungen mit Schwesternschaften hatte, war ich als Dozentin unvoreingenommen. Das Klischee, Studentinnenverbindungen dienten hübschen, doch intellektuell uninspirierten jungen Frauen als Zufluchtsstätte, beruhte nur auf Hörensagen. Das Bild der Schwesternschaft, das häufig im amerikanischen Bildungsroman kolportiert wird, war mir aufgrund meiner mennonitischen Herkunft völlig fremd. Das Verbindungssystem widersprach der mennonitischen Kultur; eine Schwesternschaft als familienähnliche Einrichtung kam in der mennonitischen Denkweise einfach nicht vor. Netzwerke, die gesellschaftliche Schmierfaktoren wie Attraktivität, Beliebtheit oder die bedingungslose Loyalität zu einer Institution großschrieben, wurden von den Mennoniten weder verstanden noch gutgeheißen. Letzteres erinnerte zu stark an blinden Nationalismus, und den Mennoniten widerstrebte es aufgrund ihrer pazifistischen Einstellung, jemandem Loyalität nur um der Loyalität willen zuzusichern. Während sie sehr wohl an die Notwendigkeit glaubten, das eigene Land zu lieben und ihm zu dienen, behielten sie sich das Recht vor, jede Institution zu hinterfragen, die in der Lage war, Kriege auszurufen. Oder Unterwäschepartys.
    In Akademikerkreisen wird viel Unsinn über Studentenverbindungen geredet. Wir rollen mit den Augen und versuchen immer, uns auf Cocktailpartys gegenseitig mit Anekdoten zu übertrumpfen, was uns genauso unreif macht wie die Schwestern- und Bruderschaften, über die wir lästern. Häufig ist man sich darüber einig, dass amerikanische Studentenverbindungen hoffnungslos anti-intellektuell sind. Wir betrachten sie als soziale Organisation, als eine Art Partnervermittlung für Frauen und eine Seilschaft für Männer. Ob diese Sichtweise fair ist, sei dahingestellt. Viele Verbindungen fordern immerhin von ihren Mitgliedern, einen Mindest-Notendurchschnitt zu erreichen, doch leider wird mehr zum Auswendiglernen angestiftet als zur Auseinandersetzung mit dem Stoff. Wir Dozenten wissen, wie sehr sich Verbindungsmitglieder über ihre Noten den Kopf zerbrechen; doch es wäre uns lieber, wenn sie sich über ihre Themen und Fachgebiete den Kopf zerbrechen würden.
    Frisch aus der Uni entlassen erklärte ich mich einverstanden, Vertrauenslehrerin einer Schwesternschaft zu werden, deren Mitglieder sich auf dem Unigelände als »heiße Campus-Feger« einen Namen gemacht hatten, oder wahlweise als »diejenigen, die tief in der Tinte sitzen, weil sie wieder vier Hotelzimmer zerlegt haben«. Ich war nicht überrascht, als die jungen Frauen sich als Truppe unerhört hübscher Studentinnen herausstellten, die bei wichtigen Anlässen farblich aufeinander abgestimmte Outfits trugen.
    Eines Abends im Februar, bei minus elf Grad, zwanzig Zentimeter Schnee und einer gefährlich rutschigen Nässe, zelebrierten meine Verbindungsmädchen ihre Mitgliedschaft, indem sie Jeansminiröcke, pinkfarbene Strumpfhosen und Stilettos anzogen. Als Vertrauenslehrerin war ich formell zu einer Veranstaltung namens »Das Weiterreichen des

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