Fix und forty: Roman (German Edition)
einzelne Wort eingehen, das aus dem Mund ihrer Kinder kommt, selbst wenn die Kinder ungefilterte innere Monologe von sich geben. Evas Bereitschaft, ihre Töchter allein spielen zu lassen, war erfrischend, weil so viel Vertrauen darin lag. Weder vernachlässigte sie ihre Kinder, noch ging sie ihnen aus dem Weg. Im Gegenteil, sie hatte große Freude an ihnen. Doch sie glaubte an die Berechtigung des reinen Seins. Die Kinder anderer Freundinnen sprachen mehrere Sprachen, konnten reiten, spielten klassische Gitarre. Evas Kinder rannten einfach herum und fanden immer eine Beschäftigung.
Eva hatte angerufen und mich zu gegrilltem Gemüse und Hühnchen eingeladen. Als ich gegen 18 : 00 Uhr bei ihr ankam, ging Matea mir geflissentlich aus dem Weg, indem sie im Wohnzimmer mit Armen und Beinen die Buchstaben des Alphabets nachstellte. Sie trug einen rosa geblümten Bikini. »Als ich ihr erzählte, dass du zum Abendessen kommst, hat sie sich umgezogen«, bemerkte Eva.
»Habe verstanden. Hallo, Matty«, rief ich und steckte den Kopf ins Wohnzimmer. »Cooler Bikini!«
Auf dieses Kompliment hatte Matea gewartet. Damit fühlte sie sich bestätigt, in irgendeiner Form anerkannt. Es ist und bleibt ein Rätsel, warum uns in der Kindheit manchmal die Meinung von Menschen, die wir kaum kennen, ungeheuer wichtig ist. Ich habe es immer toll gefunden, wenn Kinder Unbekannten aus heiterem Himmel Geheimnisse anvertrauen oder nervös das Urteil einer praktisch Fremden zu ihrem geblümten Bikini abwarten. Nachdem ich den Bikini bewundert hatte, zog Matty sich wieder um und erschien kurze Zeit später in dem Outfit, das sie vorher getragen hatte: Jeans, ein Tutu und einen Burnus.
Beim Abendessen sprachen Eva, ihr Mann Jonathan und ich über den Spionageliteratur-Kurs, den Jonathan für den Lehrplan seiner Highschool vorbereitete. Plötzlich zupfte mich jemand am Ärmel. Ich sah nach unten. Die kleine vierjährige Hazel mit ihren bernsteinfarbenen Augen, die voller Stolz leuchteten, hatte eine wichtige Neuigkeit, die sie mir mitteilen wollte. »Rhoda! Rhoda!«
»Was kann ich für dich tun, Hazel?«
Sie strotzte vor Energie, und ihre Bubikopffrisur flatterte um ihr Kinn wie eine rote Flagge. »Rhoda!« Sie sah mir in die Augen und verkündete: »Ich würde mir nicht mal im TRAUM Kaka in die Hose machen!«
»Ich auch nicht«, sagte ich. Hazels Bekanntmachung hätte von meiner Mutter sein können, die bekannterweise gerne intime Dinge von sich gibt, daher war ich unerschüttert.
»Ich würde mir auch nicht Kaka in die Hose machen«, sagte Eva im Plauderton, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie nahm sich noch ein paar Zucchini.
»Dann sind wir uns ja alle einig«, sagte Jonathan. »Alle hier am Tisch würden sich nicht mal im TRAUM Kaka in die Hose machen.«
Triumphierend nickte die kleine Hazel und verschwand im Wohnzimmer, wo sie ihrer Schwester mitteilte, dass ihre Hosen völlig frei von Kaka waren, von jetzt an und auf immerdar.
Später sah ich zu, wie Eva und Jonathan die Mädchen ins Bett brachten. Dieser Vorgang beinhaltete zwei Geschichten, zwei Lieder und eine komplizierte Abfolge von Küssen zwischen Geschwistern, Eltern und Stofftieren. Als Eva und Jonathan im halbdunklen Zimmer ein selbsterfundenes Lied anstimmten, hatte ich Tränen in den Augen. Der Grund dafür war nicht, dass ich eine solche Szene nie mit eigenen Kindern erleben würde. In dieser Hinsicht bereute ich nichts; ich hatte meine Entscheidung getroffen, und ich war im Reinen damit. Was mich berührte, war die plötzliche Erkenntnis, welch mächtige, verblüffende Kraft das Schicksal war, dieser unaufhaltsame Strom, der uns einfach in neue Kanäle spült. Dort saß Eva, die bezüglich ihrer Ausbildung und Karriere auch ganz andere Entscheidungen hätte treffen können. Hier war ich mit meinen ruhelosen Jahrzehnten draußen in der Welt, mit meinem brillanten, aber gestörten Exmann. Und plötzlich kam es mir so traurig vor, wie wir von den mächtigen Strömen gebeutelt wurden, denen wir unsere Leben unterworfen hatten. So viele Jahre waren vergangen. Meine Kindheit, frühe Freundschaften, meine lange Ehe, alles schien an einem unsichtbaren Faden zu hängen wie das papierne Wespennest vor dem Fenster meines Arbeitszimmers. Ich hatte zugesehen, wie der Wind vom See daran zerrte, und damit gerechnet, dass es herabfallen würde, doch es blieb hängen. Meine Erinnerungen schaukelten wie dieses Nest – versteckt, doch gegenwärtig, zerbrechlich, doch stark, durch eine
Weitere Kostenlose Bücher