Fix und forty: Roman (German Edition)
zweiten Helm.«
Ich sah hinunter auf meine Peeptoe-Ballerinas und mein Sommerkleid. Für eine Motorradfahrt war mein Outfit denkbar ungeeignet. »In Ordnung.«
»Die Handtasche lassen Sie am besten im Kofferraum Ihres Wagens.«
»Und was ist, wenn wir einen Unfall haben, bewusstlos werden und niemand weiß, wer wir sind?«
»Babe« – er grinste – »dafür gibt es Zahnarztunterlagen.«
Mennoniten fuhren normalerweise wie konservative Familienväter, doch Sören gab Gas und sauste los. Hinter ihm auf dem Motorrad entspannte ich mich, während mein Rock flatterte und bauschte, als hätte er ein Eigenleben, trotz meiner Bemühungen, ihn festzuhalten. Ich hatte einen Arm locker um Sörens Bauch gelegt, die andere Hand ruhte leicht auf dem Tank des Motorrads. Wenn er eine scharfe Kurve nahm, verfestigte sich mein Griff, und ich spürte, wie sich seine Bauchmuskeln anspannten. Sein Oberkörper war straff und durchtrainiert. An jeder Kreuzung richtete er sich kurz auf, lehnte sich gegen mich und legte die Hände auf meine Oberschenkel, als hätte ich ihn dazu eingeladen. Es war ein warmer Tag, und wir begannen zu schwitzen. Als wir die freie Strecke am Fuß der Hügel außerhalb der Stadt erreichten, beschleunigte Sören auf über 150 Stundenkilometer. Ich schlang beide Arme um seine Taille, klammerte mich an ihn wie ein Saugnapf und hatte irgendwie die Gewissheit, dass wir dort landen würden, wo wir hinmussten.
DREIZEHN
Der therapeutische Wert von Lavendel
Ich richtete es so ein, dass ich einen letzten Abend mit meiner Freundin Eva verbringen konnte. Ich kannte Eva Wiebe-Martens, seit wir kleine Mädchen waren. Damals, als unsere Väter am selben Seminar unterrichteten, war ich mehr mit Evas älterer Schwester befreundet gewesen, die genauso alt war wie ich. Über die Jahre hatten wir uns jedoch aus den Augen verloren. Beide Schwestern hatten sich damit begnügt, im Kernland der Mennoniten zu bleiben, während ich es kaum abwarten konnte, hinaus in die Welt zu gehen. Doch bei meiner Rückkehr in die Gemeinde meiner Eltern war ich froh, dass ich Eva wiedertraf, und noch mehr freute es mich zu sehen, dass sie genau mein Leben führte – mein anderes Leben, dasjenige, das ich geführt hätte, wenn ich mich nicht vom Glauben meiner Väter abgewendet hätte.
Eva hatte am mennonitischen Seminar studiert, in Theologie promoviert und leitete inzwischen den Fachbereich Religion an der örtlichen mennonitischen Universität. Sie war es gewesen, die meinem Vater nachfolgte, als er emeritiert wurde. Eva war mit einem Mann verheiratet, den sie am Seminar kennengelernt hatte, und hatte zwei Töchter, Matea und Hazel. Und während ich mir heimlich Evas Leben vorstellte, war sie brennend daran interessiert, von meinem Leben zu erfahren. Wäre sie als Studienanfängerin vor langer Zeit ihrem Herzen gefolgt, sagte sie, hätte auch sie den Weg der Literatur, der Kunst und des Reisens eingeschlagen.
Wir hatten unsere Freundschaft aufgefrischt, das heißt, wir hatten uns während meines Aufenthalts in Kalifornien als Erwachsene besser kennengelernt, und zwischen uns war eine ganz neue Vertrautheit entstanden. Jeden Donnerstag trafen wir uns abends auf ein paar Drinks und Jazzmusik in einer Bar in der Stadt und schütteten einander das Herz aus, teils ohne große Worte. Eva war mir außerordentlich sympathisch. Ich mochte den tiefen Brunnen ihrer Gelassenheit, der auf der buddhistischen Erkenntnis zu gründen schien, dass wir das Leben leben, das wir uns ausgesucht haben.
Eva machte eine schwere Zeit durch. Bei ihrem Vater, ebenfalls Pfarrer und ein hohes Tier in der Kirche, war erst vor Kurzem Alzheimer diagnostiziert worden. Die Auswirkungen dieser Krankheit auf eine traditionelle mennonitische Familie waren weitreichend. Ich will nicht viel dazu sagen, denn das ist Evas Geschichte, nicht meine, aber manche der Schwierigkeiten, mit denen sich die Familie plötzlich konfrontiert sah, waren einfach herzzerreißend. Wie zum Beispiel treten zwei mennonitische Töchter für einen Vater ein, der sich an seine eigenen unbesonnenen finanziellen Entscheidungen nicht erinnern kann, und wie unterstützen sie eine Mutter, die weder in der Lage ist, noch die Absicht hat, das Ruder zu übernehmen? Die fortschreitende Verschlechterung seines Zustands nahm Eva so mit, dass man förmlich die Ranken ihres Kummers an den Wänden hochklettern sah. Es war der Punkt erreicht, an dem jeden Tag neue Lücken im Gedächtnis ihres Vaters klafften. Doch
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