FKK im Streichelzoo - Roman
passieren.
»Ruhig bleiben? Und wenn wir abstürzen?!«
»Das ist absolut unmöglich«, behauptet Melanie und bewahrt weiterhin kühlen Kopf. »Die haben doch jede Menge Sicherheitsvorkehrungen, ich habe da mal einen Fernsehbericht gesehen. Da haben die gesagt, dass es in modernen Aufzügen unmöglich ist abzustürzen.«
Sie zuckt zurück, als meine Hand ohne Vorwarnung nach vorne schießt. Mein ausgestreckter Zeigefinger verfehlt ihr Auge nur um wenige Zentimeter. War nicht beabsichtigt, liegt vermutlich am Zittern.
»Da!«, stoße ich hektisch aus.
Sie folgt meinem Finger und versteht sofort, was ich meine. Das Schild, auf dem steht: Baujahr 1959.
»Das ist nicht modern«, fahre ich sie mit panikgetränkter Stimme an.
»He«, versucht sie mich zu beruhigen. »Sei doch froh! Das ist noch echte deutsche Wertarbeit. Made in Germany. Außerdem müssen Aufzüge regelmäßig gewartet werden.«
Ich suche nach einem Aufkleber, der das Datum der letzten Wartungseinheit preisgibt, finde aber keinen.
»Das wird schon keine große Sache sein«, setzt Melanie ihr Alles-wird-gut-Gefasel fort und sucht das Bedienfeld mit dem fehlenden E nach der Notruftaste ab.
Dabei ist die leicht zu finden. Es ist die einzige, deren Beleuchtung kaputt ist. Als sie die Taste drückt, kommt aus den seitlich angebrachten Schlitzen des Lautsprechers ein knackendes Rauschen. Ein unsauberes Freizeichen ertönt, dann blubbert eine dunkle Männerstimme aus der Wand: »Wach- und Schließgesellschaft Körner, guten Tag.«
»Hallo, wir stecken in einem …«
Ich bin gewillt, ihr das Ruder zu überlassen. Doch die Schilderung eines technischen Defekts ist nun mal Männersache. Diese Situation erfordert ein analytisch denkendes Hirn. Bloße Fakten. Nackte Tatsachen. Bestechende Intelligenz und Logik. Weibliche Empathie ist hier vollkommen fehl am Platz. Klare präzise Worte sind das, was eine Notsituation am ehesten braucht, damit das Rettungsteam weiß, woran es ist und was es zu tun hat, um das Problem zu beseitigen. Also schiebe ich Melanie unsanft beiseite und presse meinen Mund gegen die kühlen Schlitze der Gegensprechanlage: »Hilfe! HIIIIIILFFEEEEE! HIIIIIILLLFEEEEEEEEE!«
Soll der Mann von der Wach- und Schließgesellschaft ruhig wissen, woran er ist. Doch als Antwort ernte ich nur eine üble Rückkopplung, die den kleinen metallenen Raum des Fahrstuhls bedrohlich ausfüllt.
Egal, ich schreie weiter um Hilfe, weise den Wachmann kreischend darauf hin, dass wir drauf und dran sind zu sterben und er meiner Mutter sagen soll, dass ich sie liebe. Zumindest so lange, bis es Melanie schafft, mich von der Anlage wegzuzerren.
»QUENTIN!«, brüllt sie mich an. Etwas streift zunächst meine rechte Wange, dann die linke. Hat sie mich geschlagen? »Beruhige dich! Und schau mich an, verdammt noch mal!«
Sie packt mich an den Oberarmen und zwingt mich, ihr ins Gesicht zu blicken. Da sind wieder diese ebenholzfarbenen Augen, die dieses entspannende Gefühl in mir hochbeschwören, als würde ich an einer Tasse frisch aufgebrühten peruanischen Hochlandkaffees nippen. Die kruppstählerne Umklammerung der Angst lockert sich ein wenig.
»Alles wird gut, okay?« Melanie lächelt mir optimistisch zu.
Langsam, sehr langsam, gibt die unnachgiebige Härte in meinen Gliedern nach. Ich fühle zum ersten Mal meine Hände wieder.
»Gleich kommt jemand und holt uns hier raus. Also tief durchatmen.«
Ich nicke wie in Trance und verliere mich im satten Schokoladentoffeebraun ihrer Augen.
»Kann ich dich jetzt wieder loslassen?«, fragt Melanie, und obwohl ich erneut nicke, regt sich ein leiser Widerstand in mir.
»Was war denn das gerade?«, fragt der Mann von der Wach- und Schließgesellschaft Körner und unterbricht die therapeutische Sitzung rüde.
»Nichts, nur ein leichter Panikanflug. Alles ist gut«, flötet Melanie, nach wie vor die Ruhe selbst, in die Sprechschlitze. »Wir brauchen Hilfe, wir stecken fest.«
»Kein Grund zur Panik«, findet auch er. »Ihnen kann nichts passieren. Die Aufzüge sind so konstruiert, dass sie gar nicht abstürzen können. Solange kein Feuer ausbricht, haben Sie wirklich nichts zu befürchten.« Er bricht kurz ab, und durch die Schlitze höre ich etwas rascheln. »Es brennt doch nicht etwa?«
Ich schnüffele die Wände nach Rauch ab. Rieche aber nichts außer meinen Schweiß und Melanies Parfüm. Irgendetwas Süßes, das offensichtlich zu gleichen Anteilen aus Jasmin und Karamell besteht.
»Was machst du da?«,
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