Flachskopf
Mit einem erschrockenen »Jau !« sprang die Katze auf, guckte einen Augenblick mit großen Angstaugen nach der Wand, sauste dann über den Tisch, und klatsch... eine Tasse schlug auf den Boden. Vom Lärm der Scherben erschrak die Mutter in der Backstube und rief sofort: »Was stellst du jetzt wieder an, Bengel ?«
»Es war die Katze ,« schrie Flachskopf zurück, ein wenig ängstlich geworden durch die unvorhergesehenen Folgen des Nadelstiches, »sie hat, verdammt nochmal! eine Tasse vom Tisch geworfen !«
Die Mutter kam. Schon an ihrem Schritt erkannte Flachskopf, daß sie ihn wieder in Verdacht hatte, er sei es selbst gewesen.
»Die blöde Katze ,« sagte er schnell, ohne seiner Mutter Zeit zu lassen, Fragen zu stellen, »sie springt so plötzlich über den Tisch... sie wird wahrscheinlich wieder Junge kriegen und Bauchkneipen gehabt haben!«
Die Mutter sah ihm einen Augenblick scharf in die Augen, hob die Scherben auf und ging wieder weg, ohne ein Wort zu sagen. Flachskopf fand, daß sie ihm mit diesem Benehmen schändlich unrecht tat. Wenn er der Schuldige gewesen wäre, dann hätte sie das ganze Haus auf den Kopf gestellt. Jetzt, wo es die Katze gewesen war, sagte sie nichts, und ärgerlich rief er ihr noch nach: »Wenn ich so etwas machte, dann wäre der Teufel los !« Aber seine Mutter ging auf diesen Protest nicht ein, und Flachskopf brachte seinen Groll zum Ausdruck, indem er die Kartoffeln so wütend und grob ihrer Schale entledigte, daß sie klein und unansehnlich in dem Eimer lagen.
»Sag mal, Mädchen« — wenn Flachskopf auf seine Mutter böse war, nannte er sie kurzweg ,Mädchen’ —, »ich glaube, daß die Kartoffeln langen.« Die Mutter guckte nach und fand, daß es in der Tat genug waren. Flachskopf mußte sie noch waschen, in den Kessel schütten, über den Herd hängen, das Feuer schüren und Holz nachlegen, bis die Flamme wieder hochschlug, alles Dinge, die er gründlich verabscheute und die ihm so recht zum Bewußtsein brachten, wie unglücklich sein Leben war. Er warf zuletzt eine Handvoll Salz in den Kessel und setzte sich dann an den Tisch, um nachzudenken. Die Mutter hatte ihn beauftragt, dafür zu sorgen, daß das Essen gut durchkochte. Denn es ging allmählich auf den Mittag zu, und die Männer wollten pünktlich essen.
Flachskopf fing an, eine wahre Verwüstung unter den Fliegen anzurichten. Er schlug so gewaltig mit seiner »Biblischen Geschichte« nach ihnen, verfolgte sie so ungestüm mit seiner Mütze auf dem Tisch, an den Wänden und auf den Fensterscheiben, daß die armen Tierchen bei diesem plötzlichen Gemetzel nicht mehr ein noch aus wußten und ängstlich an der Decke entlang trieben, wo sie noch einigen Schutz fanden. An den weißgekalkten Wänden zeigten sich bald zahlreiche Spuren von Flachskopfs blutigem Kampf; auf dem Tisch, um die Kaffeeflecken herum, lagen eine Menge Fliegenleichen, und jedesmal, wenn Flachskopf mit seiner Mütze danach schlug, brummte er: »Da! das kommt davon, mich hier Kartoffeln schälen zu lassen !«
Aus der Backstube klang eine drohende Stimme: »Was stellst du da bloß wieder an ?« , und einen Augenblick später kam die Mutter selbst, um nachzusehen, ob ihr Sohn das Feuer gut versorgte und keine allzu großen Dummheiten machte. Sie hob den Kesseldeckel hoch und fragte: »Sind die Kartoffeln denn auch gesalzen ?«
»Das habe ich, glaube ich, vergessen«, log Flachskopf, denn es war ihm ganz recht, wenn seine Kartoffeln nicht ganz richtig wurden. Vielleicht blieb er dann in Zukunft von dieser blödsinnigen Arbeit verschont. Seine Mutter holte daraufhin eine Handvoll Salz aus dem Steintopf und warf es in den Kessel.
»Lerne nun deine Aufgabe ,« sagte sie gütig, »dann darfst du heute nachmittag etwas spielen gehen.« Sofort war Flachskopf bereit, diese Fronarbeit auf sich zu nehmen; und bevor noch seine Mutter die Wohnstube verlassen hatte, saß er schon mit aufgestützten Ellbogen am Tisch und betrachtete mit ernstem Gesicht »Daniel in der Löwengrube«. Lange hielt er das aber nicht aus, und sobald er wieder allein war, gingen seine Blicke wie von selbst von dem Bildchen, auf dem die harmlosen Löwen so friedlich um den guten Daniel lagerten, über die ganze Tischplatte. Das »Etwas-Spielen-Gehen« würde schon den ganzen Nachmittag dauern, denn bevor es dunkelte, würde er sich zu Hause nicht blicken lassen. Für die Aufgabe hatte er morgen noch den ganzen Sonntag, und in der Schule würde er sich hinter Driesens Rücken schon zu
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