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Flachskopf

Flachskopf

Titel: Flachskopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Claes
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weiten Wiesen hing ein flimmerndes Glitzern, das schwindlig machte.

    Kein Vogel zeigte sich in der Luft. Alles war totgebrannt, untergegangen in dieser furchtbaren Hitze. Die hohen Grashalme beugten tief ihre flaumigen Köpfe, die bärtigen Ähren der wilden Gräser waren dürr und grau, wie versengt, und im trockenen, raschelnden Gras konnte man die Heuschrecken knistern hören. Flachskopf sah den Bahnhof mit seinem roten Giebel und seinem Zinkdach liegen, mitten in der gewaltigen Sonne, und dahinter die spitzen Dächer des Dorfes um die Kirche herum. Es schien, als hätte der Herzschlag des Lebens plötzlich ausgesetzt und als blieben alle Dinge unbeweglich liegen, wo sie lagen. Es war beängstigend. Flachskopf fühlte, wie es ihm zu Kopfe stieg, und er suchte in seiner Nähe nach etwas, das Leben hatte und sich bewegte. Eine rotbraune, schwarzbäuchige Hummel mühte sich auf einer purpurnen Kleeblume ab, und hie und da hörte man das klägliche Zirpen einer Grille. Ganz weit, in der Nähe der Gemeindeteiche, schritt ein Mensch durchs hohe Gras. Flachskopf zog seine Joppe aus, holte die zwei Schnitten, das Stück Speck und die vier Birnen hervor, legte alles neben sich ins Gras und fing dann bedächtig zu essen an. Er hatte Zeit genug und würde, wenn er ein wenig hier gelegen hatte, mal auf das Dorf zu bummeln, um Locke und Dabbe zu suchen.
    Zuerst verschwand der Speck, dann eine Schnitte und zwei Birnen; die zweite Schnitte und die übrigen Birnen hob er für den späteren Nachmittag auf. Dann legte er sich auf den Rücken, den Kopf auf seine Joppe, die Kniee hochgezogen und die nackten Füße im Gras. Ah, wie schön das war! Wenn die großen Leute doch mal begreifen wollten, welch ein Genuß es für Jungen seiner Art ist, frei über ihre Sommertage verfügen zu können, ohne Lehrer, ohne Väter oder Mütter, ohne Religions- und Rechenunterricht. Wie konnten sie einen doch manchmal zu Tode quälen! Flachskopf betrachtete die Blätter des Erlenbusches über seinem Kopf, und er sah kleine Tierchen, grün wie die Blätter selbst, bedächtig darüber hinkrabbeln. Zwischen zwei Zweigen hatte eine Spinne ihr Netz gespannt, und mitten darin bammelte eine ausgedörrte Fliegenleiche, als warnendes Zeichen für alle andern. Seine Beine lagen außerhalb des Schattens, und die Sonne brannte auf seine Waden, aber das hielt Flachskopfs Haut schon aus. Er lag so glückselig da, nichts kam ihm in den Sinn, das sein Glück stören konnte; nein, Flachskopf dachte nur an das Gegenwärtige, nicht an Vergangenes oder Zukünftiges, und so schlummerte er allmählich ein.
    Und um ihn strahlte die schöne Sonne über die weiten Wiesen, zirpten die Grillen mit ihrer dünnen, heiseren Stimme, dufteten Klee- und Kuckucksblumen im niedrigen Gras, und über ihm hingen träge die Blätter des Erlenbusches, welk in der drückenden Hitze. Um Flachskopfs Schlaf wachten und sangen all die schönen Dinge des Lebens.
    »Flachskopf ,« sangen der rote Mohn, das blaue Vergißmeinnicht, die weißen Margeriten, die purpurnen Kleeblüten und die lila Kuckucksblume, »Flachskopf, Junge, ruhe und schlafe mitten in den Farben und Düften des Sommerlandes...«
    »Flachskopf ,« sangen sogar das niedrige Borstengras, der gelbe Hahnekamm, Wegerich und Distel, Binse und Schilf, »Flachskopf, Junge, es ist nur einmal Frühling, es ist nur einmal Sommer...«
    »Flachskopf, Junge ,« zirpte die Grille von einem Sauerampferblatt herunter, »die großen Leute haben ja keine Ahnung davon... du bist nur einmal neun Jahre alt... und schöne Zeiten kehren nicht wieder.«
    »Flachskopf, Junge ,« summte eine Hummel, die sich auf einer Kleeblüte niedergelassen hatte, »sauge jetzt den Honig aus allen Lebensblumen... Bedenke, daß es fürs ganze Leben langen muß...«
    Und Ameise und Erdfloh, Gerber und Sandkäfer, auch sie piepsten unter dem Gras: »Flachskopf, Junge, du bist nur einmal neun Jahre alt... es ist nur einmal Frühling, es ist nur einmal Sommer...«
    Und alle die kleinen Blümlein, und alle die kleinen Tierlein, und alles, was da wächst und blüht und ungesehen und ungekannt auf Gottes schöner Sonnenwelt lebt, alles bog den Kopf zu Flachskopf hin unter dem feierlich stillen Laub des Erlenbusches, und alles sang: »Flachskopf, Junge, du bist ein Teil von uns, du bist ein Teil dieser allerschönsten Welt, wie eine leuchtende Blume oder ein goldener Käfer... Dir sagen wir es deshalb, nur dir allein, wisse: im Leben ist es nur einmal Frühling, ist es...

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