Flaming Bess 08 - Die elektrischen Ritter
er im nächsten Moment wieder auf den Beinen und blickte mit einem schiefen Grinsen zu ihr hinauf.
»Ah, ah, ah!« machte er wieder. »So ist das, nein, so etwas! Dann stimmt es also, was getratscht, geklatscht und dunkel gemunkelt wird … Daß die Ritter erwacht sind, weil jemand gekommen ist, die Siegel zu brechen, die Riegel zu lösen, das fest verschlossene Tor zu öffnen!«
Sie sah ihn scharf an. »Was weißt du über das Tor? Und was sind das für Siegel, von denen du sprichst?«
»Ich weiß nichts«, krähte der Zwerg und begann wieder mit seinem Veitstanz. »Ich wußte nichts, ich weiß nichts, ich werde nie etwas wissen. Ich bin krumm und dumm und … «
Mit einer blitzschnellen Bewegung packte Bess ihn am Kragen. »Du wolltest mir etwas über die Ritter erzählen, kleiner Freund«, sagte sie sanft.
»Ah, ja?« Die Kreatur blinzelte. »Wollte ich das? Warum wollte ich das? Ah, ah, ah, die Ritter, wie bitter! Ihr sucht sie wirklich? Ihr habt die Schlüssel?«
»Ich habe die Schlüssel«, nickte Bess.
»Dann werden Euch die Ritter finden«, krähte der Zwerg. Ein böses Glitzern trat in seine Augen. »Der Schwarze zuerst, der Hüter des Ersten Siegels, der Drachenherr aus der weißen Burg.«
Flaming Bess lockerte ihren Griff, und das verwachsene Geschöpf entschlüpfte ihr, um erneut um sie herumzuhüpfen.
»Der Schwarze zuerst, immer und immer der Schwarze zuerst«, kreischte der Zwerg, schlug einen Purzelbaum und tauchte wieselflink in der Menge unter. Eine Zeitlang hörte sie noch sein krähendes Gelächter, allmählich entfernte es sich und verklang dann im Lärm der Budengasse.
Bess zuckte die Schultern.
Immerhin hatte sie erfahren, was sie wissen wollte. Wenn der Zwerg nicht gelogen hatte, war einer der Elektrischen Ritter bereits auf dem Weg zu ihr — der Schwarze, der Drachenherr aus der weißen Burg.
Sie lächelte dünn.
Sehr romantisch, dachte sie. Drachen! Vielleicht gibt es hier auch noch Einhörner; Elektrische Einhörner natürlich …
Forschend musterte sie die Gesichter der Menschen, die an ihr vorbeiströmten. Sie schwitzten, lächelten, blickten mißmutig, neugierig oder gelangweilt drein. Doch irgend etwas an ihnen wirkte fremdartig auf sie, nicht-menschlich, ohne daß sie mit Sicherheit sagen konnte, was diesen Eindruck hervorrief. Erst nach einer Weile wurde ihr klar, woran es lag: die Gefühle dieser Menschen waren künstlicher Natur und konnten wie mit einem Schalter an- und ausgeknipst werden. Ihr Lächeln, ihre Langeweile, ihre Neugier, ihre ganze Mimik — das alles war nur für den Beobachter bestimmt. Ihre Gespräche, ihr Gezanke, ihre Flüche, ihre derben Spaße — Dialoge von schlechten Schauspielern in einem schlechten Stück. Widmete man ihnen keine Aufmerksamkeit, verstummten sie, und beobachtete man sie verstohlen aus den Augenwinkeln, wurden ihre Gesichter ausdruckslos Augenwinkeln, wurden ihre Gesichter ausdruckslos und leer wie Totenmasken.
Sie waren keine Menschen.
Sie waren hochentwickelte Maschinen mit einem komplizierten Programm, die ein Theaterstück aufführten.
Flaming Bess ließ sich von der Menge treiben, an Gauklern vorbei, die wilde Kapriolen schlugen, an Feuerschluckern und Märchenerzählern, an zerlumpten Vetteln, die auf roh zusammengezimmerten Ständen Kräutersalben, Stärkungspülverchen und Räucherwerk feilboten, an Bauern, die von ihren Karren herunter Obst und frisches Gemüse verkauften, an Bettlern und betrunkenen Landsknechten, Pferdehändlern und Wahrsagerinnen.
Wozu diese Aufführung? fragte sich Bess. Um unerwartete Besucher aus dem All zu täuschen? Sie vom Tor zur Erde abzulenken? Unwahrscheinlich. Die Machtmittel der Elektrischen Ritter reichten aus, um jedes fremde Raumschiff an der Landung auf ihrer Welt zu hindern.
Blieb also nur die andere Möglichkeit. Eine Art Vergnügungspark, eine Art planetares Disneyland. Was hatte Glory Moon noch kurz vor dem Ende der Paraflugetappe gesagt? Die Elektrischen Ritter können es kaum erwarten, uns alle glücklich zu machen.
Eine vertraute Stimme schreckte sie aus ihren Gedanken.
»Ich bin ein Dichter, ein kosmischer Künstler, und wie alle Dichter bin ich auf der Suche nach einem kräftigen Schluck, um das Feuer der Kreativität zu schüren. So sage an, wo ist denn hier die nächste Bar?«
Ein paar Meter entfernt stand Nelson »Biggs« Beiderbecke, Vurguzz -Brenner und Poet; trotz der drückenden Mittagshitze trug er einen bodenlangen Plastikmantel und schwere Schnürstiefel.
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