Flamingo (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
daß ihnen Morphium gespritzt werden sollte, und die zwei, die gestorben waren, bevor wir das Bataillonslazarett erreichten, hatten beide diesen Ausdruck in den Augen gehabt, als ginge sie das alles nichts mehr an, als seien der heiße Wind, der durch die Türen hineinblies, das metallische Ratatat der Propellerschrauben und die vorbeirasende grüne Landschaft unter uns jetzt Teil eines anderen Films, in dem sie nicht mehr mitspielten.
»Es ist ernst, Boots, oder?« sagte ich. Ich saß in dem altmodischen gußeisernen Gartenstuhl am Pool und blickte auf meine Hände, als ich es sagte.
»Ja«, sagte sie leise.
»Wie nennen sie es?«
»Lupus«, sagte sie. Dann sagte sie: »Systemischer Lupus. Der vollständige lateinische Name bedeutet ›roter Wolf‹. Manchmal verändert sich die Gesichtshaut so, daß die Leute aussehen, als trügen sie eine Schmetterlingsmaske. Aber so ist es bei mir nicht. Die Krankheit lebt einfach in mir.«
Ich fühlte, wie ich schluckte, und ich wich ihrem Blick aus.
»Du weißt also, was es damit auf sich hat?« sagte sie. Sie schob das Fleisch an die Grillseite und setzte sich mir gegenüber. Der Rauch und das glänzende türkisfarbene Licht vom Pool bildeten einen Kranz um ihr Haar.
»Ich habe davon gehört. Viel weiß ich nicht«, sagte ich.
»Es greift das Bindegewebe an. Manchmal beginnt es in den Händen und breitet sich dann auf die Gelenke aus. Wenn es ganz schlimm kommt, wenn man nichts dagegen tut, sehen die Leute aus, als hätte man sie in Plastikstreifen gewickelt.«
Ich wollte etwas sagen, aber ich konnte es nicht.
»Ich hatte keine Krankenversicherung, keine Ersparnisse, einzig und allein die Automatenfirma«, sagte sie. »Es war mir schlicht und einfach nicht möglich, meine Geschäftsanteile zu einem Fünftel des eigentlichen Werts zu verkaufen.«
Ich sah Zorn in ihren Augen aufflackern, einen Funken, eine Anklage, die herausmußte. Aber es verging schnell wieder.
Dann streckte sie den Arm aus und berührte mein Knie, als sei ich derjenige, der getröstet werden müßte.
»Dave, es gibt vermutlich hundert verschiedene Stadien von Lupus. Man kann es heute im Zaum halten. Ich bin jetzt bei einem neuen Arzt in Houston, der mich mit anderen Medikamenten behandelt, mit Steroiden und diversen anderen Dingen. Was es für mich etwas erschwert, ist, daß ich einige Warnsignale in den Wind geschlagen habe. Bei Kälte schwollen mir die Finger an, die Gelenke wurden steif, solche Sachen. Meine Nieren hatten auch etwas abbekommen. Aber ich werde es schaffen.«
»Wie lange weißt du es schon?« sagte ich. Meine Stimme klang schwach, als hätte ich sie von einem anderen geborgt.
»Seit zwölf Monaten.«
Ihre Augen musterten mein Gesicht. Sie nahm meine Hand und hielt sie an ihr Knie.
»Du mußt jetzt nicht so schauen«, sagte sie.
»Die ganze Zeit hab ich auf dir herumgehackt, Bootsie, dich kritisiert, dir vorgeworfen, daß du Geschäfte mit den Schmalzköpfen machst –«
»Du konntest es ja nicht wissen, cher .«
»Boots –«
»Ja?«
»Bootsie, ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Ich drückte mit Daumen und Zeigefinger gegen meine Augenlider, aber das half auch nichts. Die verwelkten Wunderblumen, die schwarzen Silhouetten im Wasser treibender Blätter, die Flammen im Grill, alles wurde wäßrig und hell wie Lichtfetzen, die sich in Kristall brechen. »Wenn ich eins kann, dann mich wie ein blödes Arschloch aufführen. Das ist die einzige Konstante in meinem Leben.«
»Ich kenne dich besser als jeder andere auf der Welt, Dave. Es spielt keine Rolle, was du sagst oder glaubst, du hast in deinem ganzen Leben noch niemanden vorsätzlich verletzt.«
Dann stand sie auf, lächelte mich an und setzte sich auf meinen Schoß. Sie drückte meinen Kopf gegen ihre Brust und küßte mein Haar und streichelte meine Wange.
»Weißt du noch, wie wir früher immer in Deer’s Drive-In gefahren sind und das gemacht haben?« sagte sie. »Ich glaube, von gestern trennt einen immer nur ein Augenblick.«
Ich fühlte ihren weichen Busen an meinem Ohr und hörte ihr Herz schlagen wie eine Uhr, die für uns beide die Zeit anzeigte.
14. Kapitel
In der heißen Dunkelheit nehme ich das Dorf mit der Nase wahr, bevor ich es sehe – der nasse, durchdringende Geruch von Enten- und Schweinekot, totem Fisch, modrigem Stroh, gekochtem Hundefleisch, abgestandenen Wasserpfützen, überzogen von Algen und Moskitos. Die Luft ist so, daß man kaum atmen kann, so feucht und stickig und reglos,
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