Flamme von Jamaika
Rechenschaft und Vergeltung blieb noch genug Zeit, wenn sie nach Redfield Hall zurückgekehrt waren.
Mit gedämpfter Kraft klopfte er an die dicke Teakholztür, die von Regen und Sonne schon ganz ausgebleicht war. Zu seiner Überraschung öffnete nicht Brad Dryden, der etwa so alt war wie sein Vater, sondern dessen Frau Linda. Sie war eine mollige, verschrobene Alte, der sämtliche Kinder gestorben waren und die seitdem als absonderlich galt, weil sie angeblich mehr mit ihren Katzen sprach als mit den sie umgebenden Menschen. Sie trug ein schwarzes Kleid und eine weiße Haube, die sie als fromme Anhängerin der Baptisten auszeichnete. Jeder wusste, dass die Drydens aufseiten der Sklavengegner standen und gemeinsam mit den schwarzen Baptistenpredigern für ein freies Jamaika plädierten.
«Guten Tag, Ma’am», begann Edward seine Vorstellung. «Ich bin Edward Blake. Ich glaube, Sie kennen meinen Vater, Lord William. Ist Ihr Mann zu Hause?»
Die Alte schüttelte den Kopf und sah ihn mit ihren grauen, verquollenen Augen verunsichert an.
«Brad ist unten auf der Koppel und flickt ein paar Zäune.»
«Ich bin auf der Suche nach zwei Frauen, die gestern das Anwesen meiner Tante in Richtung Redfield Hall verlassen haben und seitdem spurlos verschwunden sind. Wissen Sie, wir machen uns große Sorgen, mein Vater und ich, dass ihnen etwas Schlimmes widerfahren sein könnte. In Haliway sagte man uns, dass sie auf Ihrer Farm gesehen worden sind.»
Es schien zu dauern, bis sie verstand, was er von ihr wollte. Dabei glotzte sie, als ob sie den Verstand verloren hätte, und lächelte dümmlich.
«Ja!», rief sie so plötzlich, dass Edward sich fast erschrak. «Noch vor Sonnenaufgang kam ein Mädchen zu uns. Sie hatte schwarze Locken und trug ein wunderschönes Kleid. Sie wollte ganz alleine in den Urwald reiten, doch Brad hat sie davon abhalten können. Sie war furchtbar aufgeregt, und ich habe ihr von meinem Spezialkräutertee gegeben, damit sie sich erst mal beruhigt.»
Nun kicherte sie, wobei sie ihre rosige Zunge zwischen den blutlosen Lippen hervorschob, was ihr Aussehen noch grotesker erscheinen ließ.
«Aber die Mischung war wohl zu viel des Guten. Sie ist auf unserer Chaiselongue eingeschlafen, und dort liegt sie noch immer.»
«Ich muss sie sprechen.»
Edward hatte Mühe, an sich zu halten und die Alte nicht einfach zur Seite zu stoßen. Geduldig wartete er, bis sie ihn hereinbat. Also stimmte es, was McMurphy gesagt hatte. Es war nur
eine
Frau bei den Drydens aufgetaucht, und nach den Beschreibungen zu urteilen, handelte es sich offensichtlich nicht um Lena, sondern um ihre Gesellschafterin. Er würde sie so rasch wie möglich zur Rede stellen, was mit seiner Frau geschehen war.
«Wo ist sie?», fragte Edward barsch.
Plötzlich konnte er nicht mehr an sich halten und drückte Mrs. Dryden unsanft zur Seite. Ohne ihre Erlaubnis abzuwarten, verschaffte er sich Zugang ins Innere der Wohnung.
«Aber sie schläft noch wie ein Engel», rief die überrumpelte Mrs. Dryden ihm verzweifelt hinterher.
Edward störte das nicht.
«Warte hier», rief er Trevor zu und war schon verschwunden. Umringt von einem Heer verschiedenfarbiger Katzen, die offenbar zu Mrs. Drydens treuesten Hausgenossen zählten, gelangte er in die sonnendurchflutete Wohnstube.
Maggie lag mit offenem Mund auf der Couch und schnarchte leise. Mein Gott, wie hässlich sie doch ist, dachte er mit Blick auf ihren dürren Leib und den verfärbten Zahn. Kein Wunder, dass sie von den Entführern verschont geblieben war. Er zauderte nicht lange und packte sie derb bei den Schultern. «Aufwachen, Lady!», rief er laut und schüttelte sie so heftig, dass sie die Augen öffnete.
«Sie tun ihr weh!», beschwerte sich Mrs. Dryden, die inzwischen hinzugekommen war.
Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, um ihm Einhalt zu gebieten, doch er wischte sie weg wie eine lästige Fliege.
Da Maggie nur langsam zu sich kam, schlug er ihr mit gedrosselter Kraft ins Gesicht.
«Wach werden, verdammt noch mal», fluchte er und sah aus dem Augenwinkel, wie Mrs. Dryden sich pikiert bekreuzigte.
«Jaha …», lallte Maggie und schaute ihn mit verstörtem Blick an. Doch was immer Mrs. Dryden ihr auch verabreicht hatte, es war offenbar nicht stark genug, um ihr die Erinnerung an Edward zu nehmen. Sie ruckte plötzlich hoch und riss die Augen in Panik auf.
«Sir, Sie, Sir?», lallte sie abermals und wischte sich den Speichel vom Kinn, der ihr während des Schlafs aus
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