Flamme von Jamaika
Lieber nehmen Sie ein Zimmer in einem der Hotels in der Innenstadt. Die sind ordentlich geführt und sauber und entsenden auf Wunsch einen Boten, der Ihren Verlobten informiert.»
«Warum sollte ich uns keine Kutsche mieten? Oder ist das Personal nicht seriös?»
«Nun, die Kutscher sind in der Regel Schwarze, und es gab hier in den letzten Monaten einige Sklavenaufstände. Es heißt, Rebellen wiegeln die schwarze Bevölkerung auf. In der Vergangenheit kam es sogar zu Überfällen auf Reisende. Aber ich will Sie nicht verunsichern», beeilte er sich zu sagen. «Ihr Verlobter weiß ganz sicher darum. Und deshalb sollten Sie auf ihn und seine Eskorte warten.»
Lena runzelte die Stirn. Wenn Edward um die Gefahren auf der Insel wusste, warum hatte er sie nicht ausreichend darüber aufgeklärt? Die Strecke vom Hafen bis zur Plantage war mit einem Wagen in wenigen Stunden zu bewältigen, das wusste sie bereits. Der Löwenanteil an Ländereien erstreckte sich zwar im südlich gelegenen Parish St. Thomas, aber das Herrenhaus der Plantage lag an der Grenze des Parish St. Ann zum Parish St. Mary. Insgesamt musste man von Falmouth bis Redfield Hall noch eine Strecke von knapp vierzig Meilen zurücklegen. Edward hatte ihr geschrieben, dass der Weg zu den Blakes über die mittlerweile ausgebaute Küstenstraße bis zur Mündung des White River führte und von dort aus nach Süden. Dabei war keine Rede davon gewesen, dass unterwegs eventuelle Unannehmlichkeiten lauerten.
Lena wusste nicht, ob sie enttäuscht oder entsetzt sein sollte, dass er ihr in den Briefen zuvor nicht geraten hatte, auf jeden Fall auf ihn zu warten.
«Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Doktor», erwiderte sie, ohne sich ihre Zweifel anmerken zu lassen, und schaute aufs Wasser.
Lautlos glitt das Schiff über meergrüne Wellen in Richtung Falmouth. Es roch nach Fisch und Tang. Aus der Ferne wehte der Geruch verbrannten Holzes, vermischt mit einem merkwürdig süßlichen Duft, zu ihnen herüber.
«Wonach riecht es hier, Doktor?»
«Rum», erklärte Dr. Beacon. «In der Nähe gibt es eine Schnapsbrennerei. Falmouth ist ein wichtiger Handelshafen für alles, was mit Zucker zu tun hat, aber auch Tabak und Kaffee werden hier verschifft, wissen Sie?»
Lena zuckte mit den Schultern. Sie wusste nicht allzu viel über Jamaika, nur das, was Edward ihr über das Land und die Lage der Plantage in seinen Briefen geschrieben hatte. Ein Grund, warum sie die
Mary-Lynn
für die Überfahrt gewählt hatten, deren direktes Ziel Falmouth und nicht Kingston oder Montego Bay gewesen war.
In der halbmondförmigen Hafenbucht konnte Lena eine ganze Armada von Dreimastschonern ausmachen, die allem Anschein nach geduldig auf die Abfertigung warteten. Die meisten von ihnen hatten gut eine Viertelmeile vor dem Hafenbecken festgemacht. Nur ein einzelnes Schiff wurde an einer der beiden Anlegestellen mit Säcken beladen. Wie eine Ameisenarmee trugen dunkelhäutige Männer die Fracht auf ihren Schultern und luden sie einer nach dem anderen auf der Ladefläche eines Holzkrans ab, dessen Flaschenzug von einem im Kreis laufenden Muli in Bewegung gesetzt wurde. Fasziniert beobachtete Lena, wie die Lasten von dort aus hinunter in den Bauch des Schiffes gehievt wurden.
Eine zweite Anlegestelle in tieferem Wasser schien in erster Linie den Passagierschiffen vorbehalten. Jedenfalls steuerte der Kapitän der
Mary-Lynn
direkt darauf zu.
Lenas Blick glitt wohlwollend über die weißen Sandstrände, die kristallklaren Buchten und die bunte Stadt, deren Straßenzüge schachbrettartig angeordnet waren. Die meisten Fassaden der Häuser waren in Pastelltönen bemalt. Allerdings blätterte bei einigen Häusern bereits die Farbe ab, manche wirkten regelrecht verfallen. In den umgebenden Gärten wuchsen hohe Palmen und halbhohe Laubbäume. Überall waren niedrige Sträucher zu sehen, deren grünes Blattwerk von roten und weißen Blütentupfern durchbrochen wurde. Das Hinterland erstreckte sich in eine langgezogene Ebene, die von weiter entfernten, dunkelgrün und blau schimmernden Berggipfeln begrenzt wurde.
Ein wahres Paradies, schoss es Lena in den Sinn. Wenn Maggie sich doch nur auch daran erfreuen könnte!
Bevor jemand von Bord gehen durfte, entsandte der Hafenmeister einen Arzt auf die
Mary-Lynn
, der sich kurz mit Dr. Beacon unterhielt, um sicherzustellen, dass es keine Seuchen an Bord gab. Als endlich das Seil von einem der Matrosen gelöst wurde und die Passagiere das Schiff verlassen
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