Flamme von Jamaika
darüber, dass Lady Fortesque eine nicht geringe Summe als Schadenersatz bei Ihnen einklagen kann, falls sie je wieder gesundet.»
«Bei mir?» Bolton schrak zurück.
«Nun», fuhr Blydge fort, «William Blake und sein Sohn können nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden. Und schließlich wurde die ganze Geschichte durch Ihr juristisches Fehlverhalten erst möglich gemacht.»
Bolton schwieg betreten. Wahrscheinlich rechnete er sich aus, dass er seine juristische Karriere bei der Marine an den Nagel hängen konnte, wenn herauskam, wie er sich von William und Edward Blake hatte an der Nase herumführen lassen. Dr. Blydge nutzte den Moment, um fortzufahren.
«Ferner verlange ich die unverzügliche Rehabilitation von Lady Helena Sophie Blake.» Blydge lehnte sich drohend vor. «Die junge Frau des Mordes an ihrem Gatten und der Kollaboration mit irgendwelchen ominösen Rebellen zu bezichtigen, halte ich für einen Skandal höchsten Ranges! Wir werden uns nicht nur beim General-Gouverneur von Jamaika über Ihr Vorgehen beschweren, sondern auch beim Colonial-Office in London. Es überwacht im Auftrag des britischen Empires sämtliche juristischen und politischen Vorgänge in den Kolonien. Und wenn es sein muss, gehen wir bis zum König selbst!»
Bolton kniff die Lippen zusammen. Einen Moment lang dachte er nach, dann stand er auf, verbeugte sich vor den Anwesenden und bat in aller Form um Entschuldigung.
«Ich werde unverzüglich meinen Rücktritt von allen Ämtern einreichen», versprach er zerknirscht. «Außerdem werde ich eine Selbstanzeige wegen begangener Verfahrensfehler einleiten.» Und nach einem Seitenblick auf Lena fügte er noch hinzu: «Zudem werde ich Dr. Castlewood umgehend über meinen Irrtum informieren, damit Lady Blake wie vorgesehen ihr Erbe antreten kann.»
«Aber das ist doch nicht alles, oder?», rief Lena, wobei ihr Innerstes vor Aufregung vibrierte. «Was ist mit Moses alias Jesús Blake? Der auf Anweisung seines Vaters Lord William Blake vor mehr als zwanzig Jahren entgegen geltendem Recht nach Kuba verkauft wurde? Er ist, wie er richtig angegeben hat, ein freier Mann, der vor einem Jahr von seinem Herrn Fernando de Montalban aus der Sklaverei entlassen wurde.»
«Mylady?» Boltons Augen blitzten sie düster an. «Woher wissen Sie das alles?»
«Auch ich habe meine Quellen, und deshalb fordere ich», erklärte Lena und richtete sich auf, «dass Sie ihn unverzüglich aus der Haft entlassen. Als nunmehr entlastete Zeugin kann ich vorurteilsfrei beeiden, dass er vollkommen unschuldig ist. Er wollte mich weder entführen noch bestehlen. Was den Tod des Soldaten betrifft, so hat er ausschließlich in Notwehr gehandelt, als man uns zu Unrecht in diesem Hotel überfallen hat.»
Bolton zögerte einen Augenblick, bevor er zu einer Antwort ansetzte und betreten in die Runde schaute.
«Es tut mir leid, selbst wenn das Gericht das Urteil auf der Stelle rückgängig macht, wovon ich nach den vorgebrachten Argumenten ausgehe, kommen Sie höchstwahrscheinlich zu spät.»
Lena hielt den Atem an. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein!
«Der Gefangene ist bereits auf dem Weg nach Montego Bay und erwartet schon morgen Nachmittag seine Hinrichtung. Ich habe wenig Hoffnung, dass wir es rechtzeitig schaffen, einen Boten zu entsenden, um die Vollstreckung des Urteils zu verhindern.»
Drei Tage waren vergangen, seit Jess Lena zum letzten Mal gesehen hatte. Am Tag nach ihrem Besuch hatten ihn die Wächter zusammen mit einem anderen Gefangenen in einen geschlossenen Gefängniswagen gesteckt und quer durchs Land gefahren. Streng bewacht von zwölf berittenen Rotröcken, wusste er inzwischen, was ihn und den anderen Mann in Montego Bay erwartete.
Man würde sie öffentlich hängen. Zum Trost hatte man ihnen versichert, dass sie nicht die Einzigen sein würden. Denn so wie es aussah, war es Catos Anhängern nicht gelungen, die Oberhand über das Land zu gewinnen. Und wie befürchtet, hatten sie die friedliebenden Gegner der Sklaverei im Gefolge von Samuel Sharpe mit in den Abgrund gerissen. Von überall her wurden Regimenter der britischen Krone entsendet, um die Aufstände und Brände niederzuschlagen. Schon wurden die ersten Erfolge und Festnahmen vermeldet. Die Zahl und zum Teil auch die Namen der bisher gefangenen Rebellen standen in der
Kingston Gazette
, die bei Jess’ Bewachern die Runde gemacht hatte.
Jess musste immerzu an Lena denken, die nun niemanden mehr hatte, der sie beschützen
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