Flammen Der Nacht -4-
Stiefel aus. Sein Skelett mutierte innerhalb von Augenblicken zu dem einer großen Raubkatze. Goldschimmerndes Fell bedeckte seine Haut. Sein Gebiss schimmerte weiß, und er wetzte seine scharfen Krallen.
Hinter ihm rappelte Adrik sich auf. Er schüttelte benommen den Kopf, riss sich die Kleider vom Leib und transformierte sich zu einem geschmeidigen schwarzen Panther. Die beiden Männer bekämpften die Varinskis mit ihren primitiven, animalischen Waffen: Krallen, Fängen, reiner Muskelkraft und wilder Entschlossenheit.
Unter Firebirds Füßen schwankte der Boden, wieder und wieder.
Sie schlang schützend die Arme um ihren Körper. »Was war das?«
Die Varinskis mussten eine Handgranate durch eines der Fenster geworfen haben.
Aber nein. Das Beben verstärkte sich, erschütterte Fensterrahmen, Wände, Möbel.
Draußen kamen die Kampfhandlungen zu einem abrupten Stopp. Das Beben intensivierte sich. Die Bäume schwankten heftig, wie von einer Orkanböe geschüttelt. Ziegel fielen vom Dach, und die Scheibe eines der Fenster auf der gegenüberliegenden Speicherseite zerbrach klirrend. Die Geysire im Tal spuckten heißes Wasser, vermischt mit weißem Dampf.
»Ein Erdbeben.« Firebird hielt sich an der Wand fest. »Die Erde bebt.«
Vögel stürzten vom Himmel — Vögel, die sich im Fallen in Männer verwandelten: Männer, gellend vor Panik. Sie trafen mit knackenden Knochen auf dem Boden auf.
Sie wirbelte zu Aleksandr herum, wollte ihn in ihre Arme reißen und beschützen.
Er stand auf dem Stuhl neben dem Tisch mit dem roten Tuch und machte große Augen. »Mama, Aleksandr hat das Puzzle fertig gemacht.«
»Was? Du hast … Das ist …« Unmöglich. Sie stolperte über die bebenden Holzdielen zum Tisch, dabei merkte sie, wie die Erschütterung nachließ. Es war, als hätte das Erdbeben etwas mit den Ikonen zu tun, und die Ikonen wiederum beschützten Aleksandr.
Er stand da, sein rundes Kleinkindgesicht strahlte. »Guck mal. Aleksandr hat das Puzzle fertig gemacht.«
Was er sagte, stimmte. Aleksandr hatte die Ikonen zusammengefügt. Die vier Ansichten der Gottesmutter erstrahlten in einer faszinierenden Farbbrillanz — wie frisch gemalt.
38
F irebird sank neben dem Tisch auf die Knie und presste ihre Stirn auf das rote Tuch. Ihre Augen tränenfeucht, flüsterte sie überwältigt: »Danke. Danke.«
»Mama?« Aleksandr streichelte ihr über den Hinterkopf. »Siehst du das Puzzle?«
Sie atmete tief durch und hob den Kopf. Lächelte ihren wundervollen, aufgeweckten kleinen Schatz an. »Ich seh es. Das ist ganz toll. Mama ist so stolz auf dich!« Sie riss ihn stürmisch in ihre Arme und tanzte mit ihm im Kreis.
Er umklammerte sie mit seinen kleinen Ärmchen und drückte ihr einen dicken nassen Schmatzer auf die Stirn.
Firebird blieb stehen und stellte ihn wieder auf den Stuhl. »Erzähl Mama mal, wie du es gemacht hast.«
» Aleksandr hat Grannys Schätze genommen.« Er rieb sich die Augen und hustete.
Firebird betrachtete entrückt die Steine ihrer Mutter, die Aleksandr akribisch und mit Feuereifer nach
den Himmelsrichtungen auslegte. Drei Steine, rot, blau und schwarz, vibrierten synchron mit den Erdstößen. Der weiße Stein, die Reinheit … fehlte jedoch in dem Arrangement.
Firebird fiel es wie Schuppen von den Augen.
Seit dem Tag, an dem der Pakt zustande gekommen war, hatte der Teufel befürchtet, dass irgendjemand irgendwo auf dieser Welt die Ikonen wieder zusammenfügen und ihm seine kaltblütigsten Diener, die Varinski – Bestien, wegnehmen könnte. Um das zu vereiteln, hatte er, bevor er die vier Ikonen in alle Himmelsrichtungen verstreute, ein Stück aus der Mitte herausgebrochen und es den Zigeunern geschenkt — Zoranas Roma-Clan.
Das war der Grund, weshalb sie einen Stein besaßen, der für sie die Reinheit symbolisierte.
Deshalb hatte der Clan eine Seherin. Denn schon ein winziges Stück der vier Ikonen verlieh seinen Besitzern eine große Gabe: die Fähigkeit, die Zukunft zu sehen. Eine Zukunft ohne den Teufelspakt.
Firebird schloss ihren Sohn in die Arme und herzte ihn. Schmiegte ihn nachdenklich an sich. Sie besann sich auf die Weissagung ihrer Mutter.
Ein Kind kann das Unmögliche vollbringen.
Aleksandr hatte sie alle gerettet.
Das Beben verebbte und hörte schließlich ganz auf. Sie nahm Aleksandr auf den Arm und schlenderte mit ihm zum Fenster.
Die Tiger, die Wölfe, die wilden Hunde, die Raubvögel waren verschwunden. Stattdessen standen Männer, nackte Männer, dort unten
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