Flammen der Rache
kämpfte sie sich zurück. Lily konnte es sich nicht erlauben, sich gehen zu lassen wie ein viktorianische Lady. Sie war auf sich allein gestellt. Sie musste sich zusammenreißen und auf sich aufpassen. Niemand sonst würde das übernehmen.
Irgendwann drückte ihr jemand einen heißen Pappbecher mit Kaffee in die Hand und schloss ihre kalten Finger darum.
Lily fokussierte ihren Blick. Sie saß inmitten einer Vielzahl von Einsatz- und Rettungsfahrzeugen auf einer Marmorbank. Bruno kniete vor ihr und hielt ihre Hände. Sie wandte den Blick ab. Die Kinder waren weg, auf dem Weg ins Krankenhaus. Das Haus brannte, und Feuerwehrschläuche pumpten im hohen Bogen Wasser hinein.
Bruno wartete darauf, dass sie ihm in die Augen sah. Sie betrachtete seine Hände. Sie waren schmutzig, zerkratzt, aufgeschürft, verbrannt, die Knöchel blutig. Sie schloss wieder die Augen, ließ ihn warten.
»Lily?«, fragte er schließlich. »Ist alles in Ordnung?«
»Nein.« Sie hatte keine Kraft mehr für Höflichkeitslügen. Auch sie war dem Feuer zum Opfer gefallen.
»Bitte«, sagte er nach einem quälend langen Moment des Schweigens. »Sieh mich an.«
Sein sanfter Ton ging ihr unter die Haut. Lily schaute ihn an und wünschte sofort, sie hätte es gelassen. Wie sie ihn verabscheute, diesen liebevollen Ausdruck. Sie konnte ihm nicht trauen.
»Lily.« Brunos Stimme war rau. »Wegen dem, was dort drinnen passiert ist … mit King … Es tut mir so leid, dass ich …«
»Nicht.« Sie sprang auf. Heißer Kaffee ergoss sich über Brunos Arme. »Jede Entschuldigung von dir würde es nur noch schlimmer machen.«
Sie ging weg, aber er folgte ihr. »Bitte, versteh doch, Lily«, flehte er. »Dieser Mann hat an meinem Kopf herumgepfuscht, als ich ein kleiner Junge war. Er hat mich irgendwie programmiert. Und er wusste Details über uns, Dinge, die du zu mir gesagt hast, und die niemand außer uns beiden …«
»Bitte erspar mir die schaurigen Einzelheiten«, unterbrach sie ihn. »Es interessiert mich einen Dreck, was er dir erzählt hat. Er war ein Psychopath. Ein Monster. Du wusstest das. Trotzdem hast du
ihm
geglaubt und nicht mir. Das kann ich nicht einfach vergessen. Darum …« Sie hatte keine Worte dafür und schüttelte den Kopf. »Darum nichts. Viel Glück in deinem Leben. Mach’s gut.«
»Nein«, sagte er erbittert. »Das werde ich nicht akzeptieren.«
»Das ist nicht deine Entscheidung! Zwing mich nicht, gemeine Dinge zu sagen.«
Bruno streckte die Arme aus, die Handflächen nach oben. »Aber ich …«
»Lass mich eins klarstellen«, fuhr sie ihm abermals über den Mund. »Ich bin froh, dass du mir das Leben gerettet hast. Ich bin außerdem froh, dass du die Kinder gerettet hast. Das war sehr heldenhaft, und dafür bekommst du die volle Punktzahl. Richte auch den McClouds meinen Dank aus, für ihre Hilfe. Ihr Timing ist perfekt. Gott segne sie.«
»Lily …«
»Ich bin dir sogar dankbar, dass du mich nicht auf der Stelle getötet hast, obwohl du dachtest, ich wäre einer von Kings Roboterkriegern.« Sie sprach schnell weiter, um die Worte herauszubekommen, bevor sie in der Tränenflut untergehen konnten. »Das war sehr großmütig von dir, wenn man die Umstände bedenkt. Dafür danke ich dir millionenfach. Und jetzt möchte ich bitte, bitte, dass du dich einfach verpisst.«
Lily kehrte ihm den Rücken zu, stolzierte davon und betete, dass er ihr nicht folgen würde. Doch dann merkte sie, dass sie auf Zehenspitzen lief und angestrengt auf seine Schritte lauschte, in der Hoffnung, dass er ihr doch nachlaufen würde.
Aber das tat er nicht.
Sie fing an zu weinen, konnte die Tränen einfach nicht länger zurückhalten. Die Decke fest um sich gewickelt stolperte sie weiter durch die Dunkelheit.
Die Richtung war ihr völlig gleichgültig, solange sie nur von ihm wegführte.
36
Sechs Wochen später …
Aaro roch Petrie bereits, bevor er ihn sah, wie er hinter dem Wintergarten heimlich eine Zigarette rauchte und sich vor der Hochzeitsgesellschaft versteckte. Er schaute gut aus für einen Mann, dem man vor sechs Wochen in die Brust geschossen hatte. Sein Anzug schlabberte ein bisschen, aber er saß noch.
Aaro begutachtete den Anzug mit dem Expertenblick von jemandem, der unter Gangstern aufgewachsen war. Versace, vom Gehalt eines Cops. Allerdings hatte er Recherchen über Petrie angestellt, nach der Sache mit dem Mädchen im Portland Police Bureau. Der Mann kam aus einer reichen Familie, und heute sah man es ihm auch äußerlich
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