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Flammen des Himmels

Flammen des Himmels

Titel: Flammen des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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der Gier der Menschen. Wie konnte sich jemand danach drängen, am Leid anderer zu verdienen?
    Kaum hatte der Henker sich beruhigt, begann ein Knabe aus Gerwardsborns Gefolge, ein geistliches Lied zu singen, das jedem anderen Anlass Ehre gemacht hätte, so schön scholl es über den Platz. Während die meisten Stillenbecker auf den jungen Sänger blickten, brachten Knechte die beiden Verurteilten herbei.
    Als Frauke ihren Bruder in seinem Schandkittel sah, biss sie die Zähne aufeinander, bis ihre Kiefer schmerzten. Den anderen Mann kannte sie ebenfalls. Es handelte sich um einen Prediger ihrer Gemeinschaft, der an ihrem letzten Wohnort mehrmals im Haus ihres Vaters gewesen war. Auch er hatte das nahe Weltenende prophezeit und erklärt, vorher aber würde Gott der Herr seine Getreuen in jener Stadt versammeln, die das neue himmlische Jerusalem werden würde.
    Das Lied verklang, und die Menge wurde der Todeskandidaten ansichtig. Sofort begannen die Leute zu johlen. Auch prasselten Flüche und Schimpfwörter auf die beiden Männer nieder, so als wollte jeder der Zuschauer beweisen, welch braver Sohn jener Kirche er sei, die sich als die einzig wahre ansah. Dabei war mehr als die Hälfte der Einwohner lutherisch gesinnt und hätte sich bei einer Verfolgung ihrer eigenen Leute gegen den Inquisitor erhoben. Gerwardsborn aber hatte sie auf seine Seite gebracht, indem er die Lutherischen in Ruhe ließ und allen Zorn auf die wenigen Täufer in der Stadt lenkte. Das war nicht schwierig gewesen, denn die Anhänger Luthers sahen die Angehörigen dieser Sekte als Abweichler an und hassten sie beinahe noch mehr, als die Katholiken es taten.
    Es müsste wirklich eine Stadt geben, in der wir unter uns sind und nach unseren eigenen Gesetzen leben können, durchfuhr es Frauke. Wäre sie in der Lage gewesen, zu lachen, hätte sie es getan. Zu dieser Stunde sollte ihr Bruder verbrannt werden und bald auch sie selbst, und da dachte sie an ein irdisches Jerusalem, in dem sie und ihre Familie unbehelligt leben konnten.
    Während Frauke mit sich selbst haderte, weil sie wirre Gedanken hegte, anstatt für ihren Bruder zu beten, schleppten die Knechte zuerst Mönninck auf den Scheiterhaufen und banden ihn trotz aller Gegenwehr fest. Er schien etwas sagen zu wollen, brachte aber nur ein Lallen hervor. Frauke sah, dass Schaum aus seinem Mund kam, und nahm das Gleiche bei ihrem Bruder wahr. Haug versuchte gar nicht erst, zu schreien oder etwas zu sagen, sondern weinte nur still vor sich hin. Auch ließ er sich ohne Gegenwehr auf den Scheiterhaufen binden.
    »Wenn die beiden reden könnten, würden sie wohl einiges zum Besten geben«, spottete der Knecht, der Fraukes Mutter festhielt, damit sie nicht noch einmal zu Boden glitt.
    Frauke begriff nun, dass man Haug und Mönninck mit dem angeblichen Wein etwas eingeflößt hatte, das ihre Zungen lähmte.
    Unten erklärte Rübsam der Menge, dass unreine Geister in die beiden Verurteilten gefahren wären, um zu verhindern, dass sie den höllischen Lehren untreu würden.
    »Aber«, fuhr er mit getragener Stimme fort, »das Feuer wird ihnen diese Höllendämonen austreiben, auf dass Engel sich ihrer Seelen annehmen und sie retten können – falls sie es denn wert sind.«
    Zustimmende Rufe wurden laut. Ihnen konnte Frauke entnehmen, dass die Angst vor Teufel und Hölle die Menschen zusammenschweißte und sie sich geradezu mit dem Inquisitor und seinen Männern verbrüderten. Wer bis jetzt noch Mitleid mit den Verurteilten gehabt hatte, hoffte nur noch darauf, dass ihre Seelen gerettet wurden.
    Dionys nahm eine Fackel, zündete sie an einer anderen an und hob sie hoch über den Kopf, so dass alle sie sehen konnten. Dann wartete er auf ein Zeichen seines Herrn.
    Gerwardsborn musterte die beiden zum Tode Verurteilten und die versammelte Menge. Nach diesem Tag, sagte er sich, würden viele, die bisher auf Luther geschaut hatten, wieder in den Schoß der katholischen Kirche zurückkehren. Es kam nur darauf an, ob es genug waren, um später auch jene Ketzer, die hartnäckig diesem Luther anhingen, ihrer gerechten Strafe zuführen zu können, ohne dass es zu einem Aufstand kam. Einen Wimpernschlag lang blickte er zu den Fenstern hoch, hinter denen die Mutter und die Schwestern des jüngeren Verurteilten dem Ganzen zusehen mussten. Wenn Hinner Hinrichs und dessen jüngster Sohn bis zum nächsten Abend gefangen genommen waren, würden diese in der darauffolgenden Nacht brennen. Wenn nicht, waren die drei Weiber

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