Flammen im Sand
»Gegen acht, glaube ich.«
»Haben Sie gleich bemerkt, dass Ihre Frau nicht mehr da war?«
»Zunächst nicht. Es war ruhig im Haus, aber das war es immer. Auch
wenn Elske da war. Meist war sie in ihrem Zimmer und malte. Ich wollte in der
Küche nachsehen, ob sie wenigstens was zu essen gemacht hat, da sah ich den
Brief. Er lag auf dem Tisch.«
»Würden Sie im Nachhinein sagen, dass ihr Entschluss, Sie zu
verlassen, zu erwarten gewesen war?«, fragte Erik. »Hatten Sie Streit vorher?
War Ihre Frau anders als sonst? Wie war sie, als sie sich am Morgen von Ihnen
verabschiedete?«
»Als ich ging, schlief sie noch. Sie hat immer lange geschlafen.
Hatte ja nicht viel zu tun. Ein bisschen Haushalt und ein bisschen Malen. Ein
schönes Leben.«
»Trotzdem wollte sie es nicht mehr, dieses schöne Leben«, meinte
Erik. »Können Sie sich denken, warum?«
Jannes Pedersen starrte auf den Punkt, an dem kurz vorher die Schale
zerschellt war. »Komisch war sie schon seit Langem. Und seit zwei, drei Wochen
noch komischer.«
»Komisch? Können Sie das konkretisieren?«, fragte Erik.
»Na, komisch eben! Seit sie mit dem Malen angefangen hat, bin ich
gar nicht mehr an sie rangekommen. Ständig hatte sie was an mir auszusetzen,
und wenn ich mich gewehrt habe, hat sie sich in ihr Zimmer zurückgezogen. In
den letzten paar Wochen hat sie kaum noch mit mir geredet.«
»Gab es dafür einen besonderen Grund?«
»Mir ist keiner eingefallen.«
»Und Sie haben keine Ahnung, wohin sie gehen wollte?«, erkundigte
sich Sören.
Jannes Pedersen schüttelte den Kopf. »Verwandte hatte sie keine
mehr. Ihre Eltern waren tot, Geschwister gab es nicht.«
»Und Freunde?«
»Die leben alle hier auf Sylt.«
»Was hat sie mitgenommen?«, fragte Sören. »Haben Sie das
kontrolliert?«
»Klar!« Jannes Pedersen stand nun auf, steckte die Hände in die
Hosentaschen und sah in den Garten. »Ein paar Klamotten, aber nur das Nötigste.
Ihre Papiere, ihr Handy, ein Adressverzeichnis, ihr Portemonnaie â¦Â«
»Viel Geld?«
»Das Haushaltsgeld! Tausend Euro vielleicht.«
»Sie muss also vorgehabt haben, sich eine Arbeit zu suchen«, sagte
Sören. »Wie erklären Sie sich, dass sie ihre Zeugnisse dagelassen hat?«
»Woher soll ich das wissen?«
Nun schaltete sich Erik wieder ein. »Sie können sich nicht
vorstellen, wer Ihrer Frau nach dem Leben getrachtet hat?«
»Vielleicht ist sie einem Perversen in die Hände gefallen. Oder
einem Drogensüchtigen, der Kohle brauchte.« Jannes Pedersen drehte sich nun um
und sah Erik und Sören an. »Könnte doch sein, dass sie mit jemandem ins
Gespräch gekommen ist, der gemerkt hat, dass sie tausend Euro bei sich hat. Es
sind schon Leute wegen weniger umgebracht worden.«
»An einen Zufallstäter glauben wir aber nicht«, antwortete Erik.
»Das Gepäck, das Ihre Frau dabeihatte, wurde nicht gefunden.«
»Das kann nur bedeuten«, ergänzte Sören, »der Täter wollte auf jeden
Fall verhindern, dass die Leiche, wenn sie gefunden wird, identifiziert wird.
Und wenn es einem Täter darauf ankommt, ist davon auszugehen, dass er sein
Opfer kannte.«
Jannes Pedersen stand auf und starrte in den Garten, dann drehte er
sich um und nahm wieder die Haltung ein, mit der er Erik empfangen hatte:
breitbeinig, die Fäuste in die Hüften gestemmt.
Ehe er etwas sagen konnte, fragte Erik: »Wie sah das Gepäck Ihrer
Frau aus? Haben Sie nachgesehen, ob ein Koffer fehlt?«
Die Fäuste lösten sich, Pedersen machte ein paar Schritte hin und
her. »Sie hatte eine Sporttasche mitgenommen. Marikke hat Elske gesehen. Sie
ist vor dem Haus hergegangen, mit der Sporttasche in der Hand. Marikke hat
gedacht, Elske wollte ins Fitness-Studio. Sie hat sich noch gewundert, dass sie
zu Fuà war. Sonst hat sie immer das Fahrrad genommen, wenn sie ins
Fitness-Studio fuhr.« Erik und Sören fuhren zusammen, als Jannes Pedersen
unerwartet losbrüllte: »Und nun macht Yvonne denselben Mist! Was denken sich
die Weiber eigentlich?«
Auf dem Gehweg drehte Erik sich um und betrachtete das
groÃe Geschäftshaus. Er kannte es seit vielen Jahren, war tausendmal achtlos
daran vorbeigefahren. Nie war ihm aufgefallen, wie gepflegt es war, mit welcher
Sorgfalt es erhalten wurde und auch mit welchem finanziellen Aufwand.
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