Flammen über Arcadion
überhaupt eine große Schwäche von ihm: zu viel zu grübeln, statt zielgerichtet den Weg zum Erfolg zu beschreiten. Er hatte eine Laufbahn bei den Schwarzen Templern eingeschlagen, weil das auf Dauer erhebliche Vorteile mit sich brachte. Dass man im Gegensatz zu den Mitgliedern der Purpurgarde in diesem Fall nicht nur vor den Eingangsportalen von Gebäuden herumstand und gut aussah, war ihm dabei eigentlich klar gewesen. Aber womöglich hatte er dennoch in jenem einen Moment seines Lebens nicht genug gegrübelt, sondern sich von den Worten seines Vaters blenden lassen. Jetzt saß er hier in seiner Rüstung und jagte irgendwelche Männer und Frauen, die das Pech hatten, nicht von einer biologischen Mutter geboren worden zu sein.
Und ich grüble doch! , erkannte er. Unwillig ballte Jonan die gepanzerte Faust und schlug sich auf die Oberschenkelschiene.
Um sich abzulenken, blickte er aus einem der schmalen Fenster des Transporters nach draußen. Sie hatten die Stadt mittlerweile durchquert und bewegten sich durch die Ausläufer des Industrieviertels von Arcadion. Ursprünglich war auch dieser Teil der Stadt ein Wohngebiet gewesen. Vor dem Sternenfall hatten die Industrieanlagen viel weiter außerhalb gelegen. Doch die Not der Dunklen Jahre hatte nicht nur ein Zusammenrücken der Menschen unerlässlich gemacht, sondern auch ein Zusammenziehen aller lebenswichtigen Fertigungsanlagen hinter die verstärkten Mauern von Arcadion.
Mittlerweile existierten schon wieder etliche Produktionsanlagen draußen auf dem Land, gut gesichert gegen Angriffe von Banden und Mutanten. Doch der Kernbedarf an Gütern wurde nach wie vor hier in Webereien, Stahlgießereien, Holzmanufakturen und Chemiewerken hergestellt.
Aus diesem Grund herrschte in dem Viertel eigentlich immer Betrieb, ganz gleich, zu welcher Stunde. Während die meisten Bürger Arcadions schliefen, schufteten unermüdliche Werkarbeiter in den Hallen hinter den hohen Mauern, um die Unabhängigkeit der Stadt und ihrer Bewohner zu erhalten.
Auf den Straßen hingegen war kaum eine Menschenseele zu sehen. Wenn nicht gerade ein Schichtwechsel anstand, trieb sich niemand außerhalb der Fabrikgelände herum – nachts noch weniger als am Tage. Jonan war das sehr recht. Unbeteiligte, die womöglich Gefahr liefen, zwischen die Templer und ihre Gegner zu geraten und dabei verletzt zu werden, konnte er überhaupt nicht gebrauchen.
Erneut erklang die Stimme von Kahane in seinem Helm. »Herhören, Männer. Wir sind gleich da. Unser Zielobjekt ist ein kleiner Chemiebetrieb. Was er herstellt, spielt keine Rolle. Er ist offensichtlich nur eine Fassade für die eigentlichen Machenschaften der Invitros. Wir werden schnell reingehen und hart zuschlagen. Hier geht es nicht um Heimlichkeit, sonst hätte ich euch nicht angefordert. Wir wollen ordentlich Krach machen. Ist alles klar?«
»Ja, Zenturio!«, bestätigten die Männer.
Jonan sah durch das Fenster, wie sie in eine dunkle Seitenstraße einbogen. Am Ende der Straße befand sich ein metallenes Gittertor, das auf einen Hof führte, der von drei Gebäuden eingefasst war. Einige Lampen, die aus den Hauswänden hervorragten, spendeten schwaches Licht. Neben dem Tor stand ein kleines Wärterhäuschen, in dem ein einzelner Mann saß.
Der Motor des Transporters röhrte auf, und das schwere Fahrzeug beschleunigte.
Bruto erhob sich und packte einen Haltegriff, um sich zu sichern. »Seid ihr heiß, Männer?«, fragte er in die Runde.
»Das sind wir, Capo«, bestätigte Lucai nickend, vom Chor der übrigen Templer begleitet.
Draußen auf der Straße wurde es unvermittelt taghell, als der Fahrer die Flutscheinwerfer des Transporters einschaltete.
»Verdammt, ich kann euch nicht hören!«, brüllte ihnen der Truppführer über den Funkkanal ins Ohr.
Das Gittertor kam rasend schnell näher.
»Wir sind heiß, Capo!«, schrien Jonan und die anderen wie aus einem Mund.
In der gleichen Sekunde brach das Sturmfahrzeug der Garde krachend durch das Gittertor. Während die Torflügel aus den Angeln gerissen zur Seite flogen, trat der Fahrer auf die Bremse und brachte ihr Gefährt mitten auf dem Hof schliddernd zum Stehen.
»Sehr gut«, rief der Truppführer. »Dann raus aus der guten Stube und rein ins Gefecht.«
Er riss die Tür des Fahrzeugs auf, und die Templer sprangen hinaus ins Freie. In diesem Augenblick vergaß Jonan jeden Zweifel. Der jahrelange Drill zeigte Wirkung, und in Fleisch und Blut übergegangene Bewegungsabläufe übernahmen
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